Dr. Erna R. Fanger und Hartmut Fanger MA

Seit über 25 Jahren erfolgreiche Dozenten für Kreatives und Literarisches Schreiben, Fernschule, Seminare, Lektorat

Voices For FUTURE!

Schreiben und Leben sind unmittelbar aneinander gekoppelt. Unserem ganzheitlichen Ansatz entsprechend, wollen wir an dieser Stelle den tagtäglichen Katastrophenmeldungen etwas entgegensetzen. Seitens der Medien allenfalls als Randnotiz erscheinend, unterstreichen wir hier die ermutigenden Bemühungen Einzelner und Initiativen, die das Leben wieder selbst in die Hand nehmen oder auch Haltungen an den Tag legen, die dem Wandel, in dem wir derzeit in Begriff sind, neue Impulse zu geben. Sie schließen sich zusammen und gehen der Frage nach, wie  wir leben wollen, um dies gemeinsam in die Tat umzusetzen.

Jeder Geist baut sich selbst ein Haus; und jenseits seines Hauses eine Welt; und jenseits seiner Welt einen Himmel. Ralph Waldo Emerson

Voices FOR FUTURE!  Februar 2024

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 Transformation hin zu einer Kultur der Ehrfurcht

 Der Benediktiner Mönch David Steindl-Rast

 

Das innerste Wesen der Lebendigkeit ist ja jenes Mysterium, das mit dem Wort «Gott»

gemeint ist. Und «Mysterium» bedeutet nicht etwas Vages, sondern verweist

auf Erfahrungen, die wir nicht begreifen ... David Steindl-Rast

 

Der indessen 97jährige, 1926 in Wien geborene, aus adliger Familie stammende österreichisch-US-amerikanische Benediktinermönch, zugleich Zen-Buddhist und Autor, David Steindl-Rast, Art ‚spiritueller Globetrotter‘ und Brückenbauer, ist heute einer der gefragtesten Gesprächspartner, geht es darum, wie wir den komplexen Herausforderungen eines globalen Wandels begegnen können.

Am 1. januar im Gebspräch mit Lamprecht im Österreichischen Rundfunk zum Thema ZUVERSICHT IN KRISENZEITEN weist er

darauf hin, dass der Einzelne die weltumspannendenglobalen Probleme nicht lösen, hingegen im persönlichen Umfeld wiederum sehr viel bewirken

könne. Allein durch das Praktizieren eines freundlichen Miteinanders, durch Friedfertigkeit, durch das Lächeln, das wir einander das wir einander schenken. Das verändere die Welt. Auch verlieren Menschen aus seiner Sicht nicht                        Steind-Rast (2004)

selten die Orientierung, indem sie starr an ihren Vorstellungen vom Leben festhalten, anstatt darauf zu hören, was der Augenblick ihnen zu bieten hat. Er rät deshalb dazu, sich mehrmals am Tag zu fragen, was macht mir Freude, und dem nachzugehen. Wir dürfen uns auf das Leben verlassen. Das Leben weiß David Steindl-Rast (2004)es viel besser als wir, so Steindl-Rast. Unsere Großeltern hätten dies Gottvertrauen genannt. Wobei er, spricht er von Gott, das Geheimnis des Lebens meint, das wir Gott nennen.

 

Das Verlangen, dem auf die Spur zu kommen, führt ihn zunächst in die Welt der Kunst, der Psychologie und Anthropologie, um schließlich in seiner Berufung zum Mönch zu münden. Auch ist Gott nach seinem Verständnis nicht jemand anderer. Vielmehr ist er in allem und in jedem als Geheimnis verwoben, das uns stets umgibt. Nicht zuletzt begegne uns Gott im innersten Mysterium der Natur. Und wer immer sich auf die sich in der Natur manifestierende Schöpfung einlässt, kommt nicht umhin, gewahr zu werden, dass unser Verstandes-Ich, darauf ausgerichtet, die Kontrolle zu behalten, nur ein winziger Teil eines größeren Ganzen ist, das in seiner überbordenden Lebendigkeit und Vielfalt mit seiner schöpferischen Energie unverfügbar ist.

 

Nach Steindl-Rast geht es bei dem uns jetzt aufgetragenen Wandel insofern um den Übergang von einem analytischen zu einem integrierenden Bewusstsein. Nicht auf dem, was uns trennt, auf dem, was aufspaltet, liegt hier der Fokus, sondern auf dem, was Menschen verbindet und letztlich in einem ganzheitlichen Weltverständnis zum Tragen kommt, einhergehend mit dem Prozess vom ‚Ich-‘‚ zum ‚Wir-Bewusstsein‘. Denn diesen Wandel können wir nur gemeinsam bewältigen.

 

Entscheidendes Element in diesem Transformationsprozess aus spiritueller Sicht ist für Steindl-Rast weniger der Glaube im Rahmen bestimmter religiöser Überzeugungen und Dogmen, als vielmehr die ganz persönliche Erfahrung des Einzelnen angesichts der im Dunkel keimenden Frage nach dem Urgrund unserer Existenz, nach dem Woher, dem Wohin. Fragen, auf die wir, ausgestattet mit Verstandesbewusstsein, keine Antwort wissen. Und es gibt für ihn keinen Menschen, der nicht eine tiefe Sehnsucht verspürte, dies Geheimnis zu ergründen. Insofern ist jeder Mensch auf Gott angelegt. Unabhängig davon, ob besagtes Verlangen sich in einer bestimmten religiösen Form äußert, welcher Ausprägung auch immer, oder davon unabhängig. Letzteres manifestiert sich derzeit in manch künstlerisch-literarischem Zeugnis, wie etwa „Der Schneeleopard“ von dem Reiseschriftsteller Silvain Tesson, 2021, im gleichen Jahr verfilmt – um nur ein Beispiel zu nennen: Verehre das, was du vor dir siehst, erwarte nichts, genieße das, was sich dir bietet, glaube an die Poesie, sei zufrieden mit der Welt, kämpfe für ihren Fortbestand. (Vincent Murnier, Tierfotograf, in dem französischen Dokumentarfilm „Der Schneeleopard“) Aber auch Steindl-Rast schreibt 2023 in seinem Osterbrief: Überall in der Welt entstehen heute Gruppen, die oft vom «Reich Gottes» keine Ahnung haben, aber es doch verwirklichen, indem sie sich vom «Ich-Denken» zum «Wir-Denken» bekehren und für ihr Gemeinschafsleben von der Natur lernen. Ihre Ehrfurcht vor der Natur ist, ob sie es wissen oder nicht, Ehrfurcht vor Gott ...                   

Quelle: www.bibliothek-david-steindl-rast.ch

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Voices FOR FUTURE!  Oktober 2023

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Gerald Hüther: Die Würde des Menschen zwischen Autonomie und Verbundenheit

Unter Würde des Menschen versteht der einstige Gehirnforscher und Neurobiologe Gerald Hüther, heute Begründer der Akademie für Potenzialentfaltung, überdies Autor so erhellend wie relevanter Sachbücher, das Bewusstsein, ein selbstdenkendes und selbsthandeldes Subjekt zu sein. Doch genau dies scheint uns in den von Hierarchien

Foto: Michael Liebert

geprägten westlichen Gesellschaften verwehrt. Die große Transformation, in der wir begriffen sind, sieht Hüther in einem grundlegenden Paradigmenwechsel. Waren die letzten 10.000 Jahre seit dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit von zunehmender Spezialisierung und damit einhergehender Hierarchisierung geprägt, habe dies fantastische Errungenschaften hervorgebracht. Um in solchen von gegenseitiger Konkurrenz motivierten Hierarchien nicht unten zu bleiben, bedarf es Einzelkämpfer, die erhebliche Anstrengungen erbringen, was wiederum zu großartigen Entwicklungen und Erfindungen, letztlich zu den heutigen, hoch komplexen Gesellschaften geführt habe.

Preis dafür ist die sprichwörtliche Ellenbogengesellschaft, in der es weniger um soziales Miteinander als um Selbstbehauptung geht, was sich nicht zuletzt in der sozialen Organisation unserer Gesellschaft widerspiegelt. Sei es etwa das Gesundheitswesen, sei es das Bildungssystem. Der Mensch in seinem grundlegenden Bedürfnis zwischen Autonomie und Verbundenheit scheint im Zuge dieser Entwicklung zunehmend auf der Strecke geblieben zu sein. Überdies sind wir offenbar an einem Punkt angelangt, wo sich besagte hierarchische Systeme als zu starr erwiesen haben, um die derzeit rasanten Veränderungsprozesse zu bewältigen.

 

Eben darin sieht Hüther den Grund, dass sie nicht mehr funktionieren, vielmehr weltweit ins Wanken geraten und den zunehmenden Krisen nicht mehr gerecht werden. Was es stattdessen bedarf, sind autonome Individuen, die sich in ihrer Einzigartigkeit mit all ihren Talenten einbringen, zugleich aber auch Verbundenheit in entsprechenden Gemeinschaften praktizieren. Darin bestünden optimale Entwicklungschancen, sowohl für das Individuum als auch das Kollektiv. Das Ergebnis – in seiner Akademie belegt durch zahlreiche Beispiele – ein liebevolles Miteinander, eine lebendige Kultur schöpferischer Selbstentfaltung.

 

Doch schon beim ‚liebevollen Miteinander‘ geraten viele an ihre Grenzen, setzt dies doch voraus, dass wir uns selbst mögen. Und da hat so mancher seine Schwierigkeiten, weshalb Hüther einen ersten Schritt zur Transformation darin sieht, dass wir mehr darauf achten, was uns guttut. Das heißt nicht zuletzt, unsere Gewohnheiten zu hinterfragen. Etwa Ernährungsgewohnheiten. Wobei die geistige Nahrung noch vor unseren Essgewohnheiten stehen mag. Was muten wir uns zu an Informationsflut, was davon ist relevant für uns, öffnet den Blick für Lösungen. Wo finden wir Orientierung. Vielleicht bei näherem Hinschauen doch weniger in der täglichen Fernsehkost zwischen Tatort, Sport, Rate- oder Kochsendung, als vielmehr beim Lesen eines Buches, im Austausch mit Freunden und Nachbarn oder bei einem Spaziergang in der Natur.

 

Das Fazit, das wir daraus ziehen können, ist, dass Transformation bei jedem Einzelnen beginnt. Da wir zugleich jedoch als soziale Wesen miteinander – mehr oder weniger – verbunden sind, auf jeden Fall aber ohne einander gar nicht existieren könnten, geht es bei der Frage, was uns guttut, immer auch darum, in was für Beziehungen will ich leben, wo finde ich Gleichgesinnte und kann mit ihnen gemeinsamen dazu beitragen, diese Welt zu einem bewohnbaren Ort zu machen, an dem sich jeder frei entfalten und einbringen kann.

 

Weiteres über den hier skizzierten innovativen Lösungsansatz findet sich unter www.akademiefuerpotentialentfaltung.org.                             Archiv

 

Voices FOR FUTURE!  Mai 2023

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Nachbarschaft neu denken & Nachhaltiger Umgang mit Ressourcen

nebenan.de Aufbau und Förderung von Nachbarschaften – innatura gGmbH Sachspenden für soziale Zwecke. Zwei Initiativen, zur Nachahmung empfohlen.

 

'Nett, ehrlich, hilfsbereit‘ sind laut nebenan.de die Attribute, die ein gutes nachbarschaftliches Miteinander ausmachen. 2014 haben Christian Vollmann, Till Behnke und Ina Remmers besagte Initiative ins Leben gerufen. Ob Leute in der unmittelbaren Umgebung kennenlernen, im Tauschhandel Dinge erwerben und so Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, ob Interessen und Hobbys jedweder Art zu teilen, Bedürftigen unter die Arme zu greifen oder Kleinkinder zu betreuen – nebenan.de bietet eine bunte Vielfalt an Möglichkeiten, die Herausforderungen des Alltags gemeinsam zu meistern. Aber mehr noch, vermittelt ein solches Zusammenwirken das Gefühl, über die eigenen vier Wände hinaus zuhause zu sein.

Für Private kostenfrei, fragt sich, wie sich das Ganze finanziert. Ein digitales Netzwerk solchen Ausmaßes 24 Stunden sieben Tage die Woche aufrechtzuerhalten, erfordert entsprechende Kapitalressourcen. Dies machte die Gründung eines Sozialunternehmens erforderlich, das seit 2020 dem Verlagshaus Burda angehört, jedoch nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, aber auf eigenen Beinen steht. So finanziert sich nebenan.de indessen, neben freiwilligen Förderbeiträgen, durch Werbeservices kleiner lokaler Unternehmer, aber auch klassische Werbeflächen. Daten werden nicht an Dritte weitergegeben, allenfalls die von Nutzern zur Verfügung gestellten anonymisiert für das Ausspielen von Werbung verwendet.

nebenan.de agiert naturgemäß ausschließlich lokal. Um die Identität der Nutzer sicherzustellen, werden sie auch postalisch kontaktiert. Die Beispiele sprechen für sich. Renate aus Berlin etwa hat keine Enkelkinder, dafür aber viel Zeit und bietet sich als Leihoma an. Jean Paul aus Hamburg Eimsbüttel teilt seinen Garten mit Nachbarn, besonders zu Corona Zeiten von unschätzbarem Wert. Katja aus Hamburg Uhlenhorst wiederum, Pianistin, ist auf der Suche nach einer Partnerin zum vierhändig Klarvierspielen auf eine Frau ihres Alters mit entsprechenden Voraussetzungen gestoßen. Bleibt zu hoffen, dass es der Initiative gelingen möge, der viel beklagten Vereinsamung und Anonymität in Großstädten Begegnung und Miteinander dieser Art weiterzuverbreiten und auszubauen.

Es ist genug für alle da, es ist nur falsch verteilt“ – so das Fazit der Geschäftsführerin der gleichwohl gemeinnützigen innatura gGmbH, Juliane Kronen, ihres Zeichens promovierte Betriebswirtin. Innatura, die erste Plattform Deutschlands, die Sachspenden für soziale Zwecke vermittelt. Über ihre Aufgabe als Geschäftsführerin des Unternehmens hinaus ist Juliane Kronen u.a. Mitglied der Jury des Alternativen Nobelpreises. 

Begonnen hatte alles mit 100 Tonnen Shampoo, das war 2009. Ein Kollege ruft an, er habe davon 200.000 Flaschen, falsch etikettiert, ansonsten völlig in Ordnung, ob sie einen Abnehmer hätte. Bedingung, die Ware müsse schnell und auf eigene Kosten abgeholt werden und dürfe nicht auf dem Schwarzmarkt auftauchen. Als Partnerin der BCG (Boston Consulting Group) und engagierte Ehrenamtliche gut vernetzt, startet sie eine Telefonkampagne. Doch keine dafür infrage kommende Einrichtung verfügte über eine entsprechende Logistik. Trotz ihrer Bemühungen landet das Shampoo auf dem Müll. Für Juliane Kronen eine Art Weckruf. Sie bespricht das Problem mit zwei Kolleginnen aus der BCG mit dem Resultat, dass sie sich zusammen auf Recherche begeben und in Erfahrung bringen, dass in deutschen Firmen jährlich fabrikneue Ware im Wert von sieben Milliarden Euro auf den Müll wandert. Kleine Produktionsfehler, ein falsches Etikett, Saisonware. Das war der Startschuss. Eine entsprechende Logistik wurde entwickelt, Lagerhallen angemietet. Der Haken: Für Firmen ist es billiger, überschüssige Ware wegzuwerfen, als zu spenden, wofür sie wiederum besteuert werden. Juliane Kronen im Interview mit brand eins: „Eigentlich hast du nur eine Idee, mit der du etwas Gutes bewirken willst. Und dann merkst du, wie viele Regeln es gibt, die [dies] verhindern ...“

 

Indessen ist Juliane Kronen im Gespräch mit Regierungsvertretern, um mit ihnen gemeinsam zu erreichen, dieses Gesetz zu kippen. Wir wünschen ihr dabei viel Erfolg.                                                                                    Archiv

Voices FOR FUTURE!  Februar 2023

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Pazifismus heißt Gewaltfrei leben*

Gleich zwei bemerkenswerte Bücher zum Pazifismus sind im letzten Quartal 2022 erschienen: Im Rowohlt Verlag das der Schriftstellerin und Börne-Preisträgerin Daniela Dahn, Im Krieg verlieren auch die Sieger. Nur der Frieden kann gewonnen werden, mit Texten nicht nur zum Ukraine Krieg, sondern auch mit einer Analyse der Zeit davor, wo der Fokus auf den Versäumnissen westlicher Politik liegt. In Reclams Universalbibliothek wiederum wartet der Philosophieprofessor Olaf Müller in Pazifismus. Eine Verteidigung mit einer so differenzierten wie erhellenden Auseinandersetzung auf.Seit dem Überfall der Ukraine seitens der russischen Armee am 24. Februar 2022 geht ein schmerzhafter Riss durch die westliche, aber auch die globale Welt, deren Wirtschaft dadurch ebenso erschüttert wird wie ihre ethisch-moralischen Werte. Schon in ihrem Vorwort „Kassandra lässt grüßen“ übt Dahn Kritik an den politischen Eliten, die Bedenken und Einspruch der Zivilgesellschaft ignorierten. Mit dem Brief von Künstlern und Intellektuellen an Olaf Scholz, zu denen auch Dahn zählt, unter dem Motto „Deeskalation jetzt“ im April letzten Jahres, ist die Trennlinie zwischen Befürwortern von Waffenlieferungen und Vertretern der Forderung nach Friedensverhandlungen umso ersichtlicher zutage getreten. Die emotional aufgeladene Schelte, die Gegnern von Waffenlieferungen seitens Medien, Politik und Gesellschaft entgegengebracht wurde, spricht für sich. Dabei aus dem Blick zu geraten, scheint die Gefahr einer Eskalation. Auf das lateinische „pax“, deutsch „Friede“, zugleich aber auch „Pakt“ rekurrierend, erinnert Dahn daran, dass Friede immer schon ein stets von Neuem zu verhandelndes Gut, vertraglich verankert, dem Menschen zu keiner Zeit in den Schoß gefallen ist. Daran geknüpft die Frage, wie wir leben wollen. Nach unserem Demokratieverständnis in Freiheit, Gerechtigkeit, sozialer Sicherheit bei kultureller Teilhabe, was wiederum an Friedenszeiten gekoppelt ist. Dahn lässt sich von den Befürwortern schwerer Waffen als Replik auf Putins Angriffskrieg nicht einschüchtern, sondern überzeugt mit einer faktenreichen zweiteiligen, jeweils in Kapitel untergliederten Gegendarstellung: I. „Der Alptraum vom ewigen Krieg. Ukraine zwischen Russland und Nato“, II. „Der Traum vom ewigen Frieden. Die Welt zwischen Sein und Nichtsein“. Ihr Fazit: Frieden sei machbar, würden die Waffen weltweit endlich schweigen und ihr allenfalls noch museales Dasein als trauriges Relikt aus der Vergangenheit fristen.

*https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/p/pazifismus.html

Weniger radikal in seiner im Übrigen dezidierten Verteidigung des Pazifismus räumt Olaf Müller ein, dass er von seinem eigenen Credo zum Beispiel im Hinblick auf den Tyrannenmord durchaus Abstand nehmen würde. Wie er überhaupt zu der Einsicht gelangt, dass man auch alsadikaler Vertreter des Pazifismus nicht davor gefeit sei, sich schuldig zu machen. Dennoch bleibt er dabei, dass Krieg stets mit Unmoral und Entmenschlichung einhergehe, und allein schon von daher der derzeitigen Verunglimpfung des Pazifismus entschieden entgegenzutreten sei. Sein Anliegen:Den Fokus auf die Erfolge pazifistischen Vorgehens zu lenken, was ermit einem Beispiel aus der Ukraine selbst belegt. Dabei unterscheidet Müller zwischen gesinnungsethischem Pazifismus, der gegen jedwedekriegerische Handlung moralisch Einspruch erhebe, im Gegensatz zumverantwortungsethischen Pazifismus, der die Konsequenzen kriegeri-

scher Handlungen in Betracht ziehe, die in der Regel den Krieg nicht rechtfertigten, was allerdings hohe Faktenkenntnis voraussetze, worüber die Wenigsten verfügten. Den Mittelweg bildet nach Müller derpragmatische Pazifismus, der ohne Gesinnungsethik nach starren moralischen Vorgaben auskomme. Zugleich ein Weg voller Ambivalenzen,was es auszuhalten gilt: „Der Weg, den ich vorschlage, ist schlecht.Und der Weg, den die Gegenseite geht, ist meiner Meinung nach noch schlechter.“

 

Beide Positionen ergänzen einander und bilden zusammen ein aufrüttelndes Plädoyer, nicht aus den Augen zu verlieren, dass Gewaltfreiheit unabdingbar die Grundlage menschlichen Zusammenlebens ist, die es zu schützen und zu verteidigen gilt.                                                                                     

 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar von Daniela Dahn: Im Krieg verlieren auch die Sieger gilt dem Rowohlt Verlag, Hamburg

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VOICES FOR FUTURE November - Dezember 2022

© erf:  Statt vager Vorsätze, verlässliche Tools

 Sei dein eigener Coach und nicht deine 

 schärfste Kritikerin   Dr. Julie Smith

 

 

Dr. Julie Smith, Aufstehen oder liegen bleiben? Tools für deine mentale Gesundheit. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022, aus dem Englischen übertragen von Kirsten Riesselmann

 

Lebensklug und differenziert kommen die in langjähriger Praxis erprobten Techniken  und Tools der klinischen Psychologin Dr. Julie Smith daher, deren Expertise sich mit überwältigendem Erfolg über Youtube, Tik-Tok und Instagram weltweit verbreitete und so Tausenden kostenlos Zugang zur mentalen Selbsthilfe verschafft hat. Überzeugend überdies die ihr eigene Mischung aus Kompetenz, Empathie und warmherzigem Pragmatismus. Dabei beleuchtet Smith, neben Quellenangaben und Hinweisen zu weiterführender Literatur und Orientierung, in acht Kapiteln grundlegende Voraussetzungen für unser Wohlbefinden, neurowissenschaftliche Erkenntnisse inbegriffen. Geht sie einerseits so gründlich wie detailliert vor, bildet den Schluss eines jeden Kapitels ein Kasten, wo der Inhalt in seinen Kernpunkten noch einmal nahegebracht wird und auf einen Blick erfasst werden kann. Die Bandbreite geht von den Stimmungen, denen wir unterworfen sind und wie wir sie beeinflussen können, über die Kraft der Motivation, den Umgang mit emotionalem Schmerz und Trauer. Wie Selbstzweifeln und mangelndem Vertrauen begegnen, Angst und Stress.

Last but not least die Überlegung, was macht ein sinnerfülltes Leben aus und wie gelangen wir dazu. Schlussendlich stellt sich natürlich die Frage, sind wir in der Lage, uns selbst zu helfen, oder wann ist der Punkt erreicht, wo wir uns Unterstützung suchen und eine Behandlung in Erwägung ziehen sollten. Smiths Antwort ist so eindeutig wie knapp: „immer dann, wenn du dir wegen deiner psychischen Gesundheit Sorgen machst.“

Aufstehen oder liegen bleiben? – zugleich Logbuch durch gesellschaftliche Transformationsprozesse – verhilft uns, dem Gebot der Stunde gemäß, zu dem, was wir sowohl individuell als auch als Kollektiv jetzt am dringendsten benötigen, nämlich Resilienz, sprich Widerstandskraft, den Herausforderungen standzuhalten und den anstehenden Wandel mitzugestalten. Wir können es Ihnen nur ans Herz legen!

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Rowohlt Verlag

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VOICES FOR FUTURE November - Dezember 2022

© fanger & fanger: Kick Off für eine attraktive Mobilität der Zukunft

 

Katja Diehl: Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt, S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2022

 

Die Probleme sind hinlänglich bekannt. Hält man sich in unseren Großstädten auf, stellt man schnell fest, dass was einst die Zukunft darstellen sollte und für Mobilität, Komfort und Bequemlichkeit stand, indessen nur noch im Wege ist. Gemeint ist des Deutschen liebstes Kind: Das Auto. Mit ihm stecken wir im Stau fest, belasten unverhältnismäßig die Umwelt und stellen fußballgroße Flächen zu. Besser, man verzichtet darauf.

 

Die Autorin Katja Diehl, zugleich mehrfach ausgezeichnete Mobilitätsexpertin sowie Beirätin des Baden-Württembergischen Verkehrs- und Österreichischen Klimaschutzministeriums, fordert schon deshalb deutlich weniger Autos auf den Straßen. Im Sinne der Inklusion denkt sie vornehmlich auch an diejenigen, die sich kein Auto leisten können, an die 13 Millionen in Deutschland, die keinen Führerschein haben, an alte und kranke sowie körperbeeinträchtigte Menschen und nicht zuletzt an Kinder. Unter diesen Vorzeichen hält sie unser Verkehrssystem für undemokratisch. In ländlichen Regionen wiederum gibt es überdies so gut wie keine Alternative. Ohne Auto kann dort kaum noch jemand leben. Die Wege sind einfach zu weit, ob zum Einkaufen, zur Arbeit, ob zum Arzt. Zumal der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in der Regel, wenn überhaupt, nur selten stattfindet. Eine Mobilitätswende und ein Umdenken sei dringend erforderlich. Ein von der Autorin aufgestelltes Gebot lautet dementsprechend: „Jeder sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können.“

 

Dabei ist Katrin Diehl durchaus nicht die „Autohasserin“, wie ihre Kritiker es ihr gerne nachsagen, vielmehr geht es ihr darum, sogenannte ‚blinde Flecken der Automobilität’ aufzuzeigen, die das Unmenschliche an unserem Verkehrssystem deutlich machen, das Ungerechte auch – haben Leute ohne Auto doch in der Regel das Nachsehen.

 

Von Grund auf stellt Katja Diehl infrage, inwieweit das Auto unverzichtbar, inwieweit es wirklich notwendig ist: „Willst du oder musst du Auto fahren?“ Was ist mit jenen oben bereits erwähnten Menschen ohne Führerschein? „Was hat sich durch das Auto verändert?“ Sie zeigt u.a. Lobbyismus auf, plädiert für ‚wahlfreie Mobilität’ und bringt uns eine ‚autogerechte Welt’ nahe. Erfrischend provokant bezeichnet sie das gegenwärtige Mobilitätskonzept als patriarchal, transfeindlich und rassistisch.

Was kann und muss passieren? Zunächst einmal postuliert sie eine grundsätzliche Veränderung in der Haltung zum Auto, im Denken, in Werteinschätzung und Handeln. Es gilt, sich die Abhängigkeit davon bewusst zu machen und Möglichkeiten zu erkunden, sich davon zu lösen. Das Ziel: ‚eine gemeinsame, für alle attraktive, lebenswerte und klimafreundliche Mobilitätszukunft zu gestalten’, in der sich auch Menschen ohne fahrbaren Untersatz gleichberechtigt fortbewegen können. Im Mittelpunk soll der Mensch stehen – nicht die Technik.

 

Städtebaulich wäre das sehr wohl möglich. Paris das Vorbild. Zahlreiche Straßen direkt an der Seine sind mittlerweile autofrei, für Fußgänger Raum für Begegnung, wo sie sich ungestört bewegen und in den vielen, das Ufer säumenden Cafés im Freien ihren Kaffee trinken können, ohne von Auspuffgasen belästigt zu werden.

Hier und in weiteren Quartiers ist alles darauf ausgerichtet, dass man das Wichtige, wie Schulen und Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgungsstätten und kulturelle Einrichtungen, zu Fuß innerhalb von 15 Minuten erreichen kann. Und es werden inzwischen auch anderswo dementsprechend nennenswerte Maßnahmen eingerichtet, wie in Barcelona, wo in Wohnquartieren, wie den so bezeichneten ‚Superblocks’, kein Autoverkehr mehr zuglassen ist. Weitgehendes Ziel sei, dass überall dort, wo heute Parkplätze das Stadtbild verunzieren, in Zukunft wieder Grünanlagen zu finden sind.

 

Eines steht fest, wir kommen an der Tatsache nicht vorbei, dass das beste Auto, soweit nicht dringend erforderlich und ,gemeinschaftlich nutzbar’, jenes ist, ‚das angesichts Fußgängerzonen, Radwegen und öffentlichem Verkehr erst gar nicht gebaut werden muss, überflüssig geworden ist und abgeschafft wurde’.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

 

fanger & fanger

schreibfertig.com

VOICES FOR FUTURE Oktober 2022

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(Ein) Dringlicher Appell zur

Rettung des Klimas

 

Cornelia und Volker Quaschning, Klimarevolution jetzt. Carl Hanser Verlag, München 2022

 

Konkret, kompetent und gebündelt präsentieren der Berliner Professor für Regenerative Energiesysteme Volker Quaschning und seine Frau Cornelia Quaschning, Informatikerin und Heilprakterin, die Fakten rund um den Klimawandel sowie entsprechende Lösungswege. Letztere umzusetzen, ist nicht nur jeder Einzelne gefordert, sondern es gilt dies ebenso im Rahmen der Politik, wo dementsprechend gesetzliche Regelungen in Angriff zu nehmen sind. Denn eines ist klar: Wir dürfen uns keine Zeit mehr lassen. Nichtsdestotrotz, so das Autorenpaar: Der Einsatz für den Klimaschutz sorgt grundlegend für ein positives Lebensgefühl und kann unter diesem Aspekt sogar richtig Spaß machen.

Kritisch unter die Lupe genommen werden etwa das Verhältnis von Sonnen- und Windenergie, die Umweltfreundlichkeit von Elektroautos oder auch die Frage, inwieweit der Wasserstoff wirklich Abhilfe schafft. Die hier angesprochenen Problemlagen und Bewältigungsstrategien sind hochkomplex, und es ist das Verdienst von Quaschning & Quaschning, dies auch für einen interessierten Laien verständlich nahezubringen. Denn um die Energiewende voranzubringen, bedarf es des Zusammenwirkens, wenn nicht aller, so doch der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. So scheitert etwa die Nutzung von Windenergie immer wieder am Widerstand eines

nicht mal allzu großen Teils der Bevölkerung, was angesichts der Dringlichkeit der Aufgabe, die fossile Energiegewinnung hinter uns zu lassen, nicht mehr vertretbar scheint.

 

Aber nicht nur der Appell, sich mit Windenergie anzufreunden, gehört für manchen zu den unbequemen Wahrheiten, die Quaschning & Quaschning, teils nicht ohne Polemik, aufs Tapet bringen. Auch Steak- und Grillfans werden keine Freude an den hier vorgebrachten Argumenten haben, auf den Verzehr von Rindfleisch zu verzichten oder ihn zumindest gehörig einzuschränken. Und natürlich macht sich das Duo auch mit dem Anprangern von Flugreisen nicht beliebt. Nichtsdestotrotz zeichnet sich immer deutlicher ab: Es wird nichts mit der so dringend erforderlichen Klimarevolution, wenn wir nicht gewillt sind, von manch liebgewordenen Gewohnheiten abzulassen und auf etliche Annehmlichkeiten, die bislang so selbstverständlich schienen, nicht zu verzichten bereit sind. Dies sind nicht zuletzt die Gründe, warum es so schwer scheint, hier schneller zu entsprechenden Entscheidungen zu gelangen.

Überzeugend in dieser Hinsicht die Darlegung des Autorenpaars des Dualismus‘ Pain and Pleasure, woraus ersichtlich wird, dass die Menschheit offenbar nur unter Leidensdruck zu drastischeren Einschnitten in ihre Lebensgewohnheiten bereit ist. Schwierigkeit, die im Übrigen bereits 1972 die Autoren des Club of Rome in „Grenzen des Wachstums“ formuliert, als erhebliche Hürde erkannt und u.a. antizipatorisches Lernen an entsprechenden Modellen als Gegenmaßnahme gefordert haben.

Kurz davor, unsere eigenen Lebensgrundlagen dem Verfall preiszugeben, scheint es angebracht, die hier zur Sprache kommenden Zumutungen der Energiewende als unumgängliche Notwendigkeit auf uns zu nehmen und mit dem Einsatz für den Klimaschutz in den Modus der Selbstwirksamkeit zu gelangen und, ja, ganz im Sinne von Quaschning & Quaschning, Spaß daran zu haben, diesen Wandel mitzugestalten und voranzubringen.

 

Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Carl Hanser Verlag in München!

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VOICES FOR FUTURE September 2022

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Aufbruch in ein neues Miteinander

 

Ece Temelkuran: Wille & Würde. Zehn Wege in eine bessere Gegenwart. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Verlag HOFFMANN UND CAMPE, Hamburg 2022

Mit emotionaler Wucht in entschiedenem Tenor kommt dieser Art Aufschrei Temelkurans, türkische Krisenreporterin und Autorin, angesichts Krieg und weltweiter Klima- und anderer Krisen daher. Unter Erdogan ihres Jobs verlustig gegangen, lebt sie seit 2016 im Exil und switcht seither zwischen Kairo, Brüssel, Washington, Erbil, Istanbul, Zagreb und Beirut.

Im Kern geht es ihr um ein neues Miteinander. Dabei fungieren besagte zehn Wege weniger als Logbuch, als sie vielmehr auffordern, nicht zuletzt sprachliche Gepflogenheiten zu überdenken. Zu leichtfertig verwendet sieht sie etwa Begriffe wie Revolution oder Systemwechsel, ohne den oft grausamen Konsequenzen staatlicherseits Rechnung zu tragen, denen die dadurch zur Rebellion Angestifteten nicht selten ausgesetzt sind. Stattdessen besinnt sich Temelkuran auf einen achtsameren Sprachgebrauch, setzt etwa, anstelle auf vage Hoffnung, auf den unumstößlichen Glauben an die Menschheit, an deren Mut, vor den Erfordernissen der Wirklichkeit nicht zurückzuschrecken, an deren Kraft und Kreativität, neue Wege aufzutun. In eine Lage geraten, wo immer mehr an Rand gedrängt, unter menschenunwürdigen Umständen ihr Leben fristen, gilt es jetzt umso entschiedener, diese Würde wiederzuerlangen, Kraft zu schöpfen, und sei es aus dem Mut der Verzweiflung, Bedrängnis und Angst.

Ihre Thesen gerne anhand von Gegensätzen vertretend, plädiert sie für Würde, statt Stolz. Nicht Wut, wie in Social Media vertreten, sondern erhöhte Aufmerksamkeit sei gefragt. Und weniger anhand theoretischer Modelle, entwickelt Temelkuran ihre Statements vielmehr aus Alltagsgeschichten.

Wobei die von ihr propagierten Tools nicht ganz neu, teils der Positiven Psychologie, teils der Achtsamkeitsbewegung entliehen sind. Neu ist, jenseits ideologischer Vorzeichen all die sich bietenden Lösungswege in den Fokus zu nehmen, sowie statt des Getrenntseins die Verbundenheit von allem was ist. Ein jeder mag sich als Teil eines Ganzen aktiv einbringen – Veränderung fängt letztlich bei jedem einzelnen an.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

 

Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Verlag HOFFMANN UND CAMPE!                                                                       Archiv

VOICES FOR FUTURE APRIL-MAI 2022

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Europäische Flüchtlingspolitik – Erhellung eines Skandals

Jean Ziegler: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten (C. Bertelsmann Verlag, München 2020), Neuauflage mit aktuellem Vorwort, PenguinVerlag, München, Januar 2022. Aus dem Französischen von Hainer Kober.

Bereits als das Buch 2020 erschien, hat Jean Ziegler anlässlich eines Besuches des Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos auf die dort herrschenden menschenverachtenden Zustände
aufmerksam gemacht und landete damit auch gleich auf der Spiegel Bestseller-Liste. Recht so. Ist dies doch Indiz dafür, dass das Thema auch einer breiteren Öffentlichkeit nicht ganz gleichgültig ist und nicht nur, wie von Michael Martens (FAZ 24.05.2020) gemutmaßt, mit „Beifall in der eigenen weltanschaulichen Nische“ rechnen darf. Zugegeben, man kann
Ziegler allerhand anlasten. Etwa, dass die hier zutage geförderten Missstände nicht ganz neu sind. Dass nicht alles lupenrein belegt und recherchiert ist. Nicht zuletzt, und das ist vielleicht das größte Manko, dass er sich nicht selten einer Polemik bedient, die der Sache wenig dienlich ist. Worin sich alle einig sind, auch seine Kritiker, sind die unhaltbaren Zustände an den Außengrenzen Europas. Doch bleibt diese Erkenntnis so abstrakt wie folgenlos.

In dieser Gemengelage wiederum sowie angesichts abgeklärter Polit-Talk-Runden, wo aus gesicherter Position heraus über das Elend von Geflüchteten – gleichwohl folgenlos – debattiert wird, hat es zugleich etwas Befreiendes, und ja, auch etwas menschlich Sympathisches, dass einer wie Ziegler, der im Übrigen schon weiß, wovon er schreibt, hier mitunter die Fassung verliert. Und allein ist er damit auch nicht. Man erinnere sich an Annette Behnken, die sich am 20.03.2020 im Wort zum Sonntag dazu hinreißen ließ, ihre Abscheu vor der europäischen Flüchtlingspolitik mehr als deutlich zum Ausdruck zu bringen, und dafür harsche Kritik einsteckte. Man darf sich das nicht erlauben im öffentlichen Diskurs. Zugleich spricht es wiederum vielen aus Seele, wenn diese Grenze angesichts so skandalöser wie menschenverachtender Zustände überschritten wird. Und wenn in Moria, ursprünglich für 3000 Soldaten konzipiert, mehr als 10 000 Flüchtlinge zusammengepfercht wurden, viele von ihnen Schutz in den angrenzenden Olivenhainen suchten, auf Pappkartons unter Plastikplanen schlafend, bei mehr als dürftiger Versorgung mit Lebensmitteln und unzureichenden sanitären Anlagen, ist das mitanzusehen schwer auszuhalten. Anzuprangern ist nicht zuletzt die lange Zeit, die die Betreffenden unter solch unwürdigen Umständen ausharren müssen, waren Einrichtungen wie diese zunächst doch nur als Übergangslager konzipiert. In der Praxis wurden daraus Jahre. Jahre der Ungewissheit. Jahre der Qual und der Pein. Und das, weil die EU keine einheitliche Regelung im Umgang mit Asylsuchenden und ihrer Verteilung auf die Mitgliedsstaaten zustande bringt, hier bürokratische Hürden wie Streit um Zuständigkeiten und Korruption sowie der offenkundige Wille abzuschrecken, im Wege stehen. Dies widerspricht in der Tat den Grundsätzen von Demokratie, in der Menschenrechte zentral verankert sind.

Moria ist indessen – und hier setzt das mit Januar 2022 datierte Vorwort unter dem Titel „Immer und schlimmer noch ...“ an – mit dem Brandanschlag vom 8. auf den 9. September 2020 Vergangenheit. Dabei wurden nicht nur 12600 Menschen obdachlos, sondern verloren überdies ihr ohnehin spärliches Hab und Gut. Man verteilte die Betroffenen auf ein provisorisches Zeltlager nahe des Flüchtlingslagers Kara Tepe – mit Stacheldrahtumrandung, hermetisch abgeriegelt und überwacht von einer Spezialeinheit, eher ein Gefangenen- als ein Flüchtlingslager, wo es an Nahrung, Wasser, nicht zuletzt Medikamenten fehlte. Ziegler überzeugt sich vor Ort von der Lage und schildert die Spuren der Zerstörung und die Leiden der Betroffenen so drastisch wie detailreich. Von den brutalen Push-back-Manövern seitens Natos und Frontex‘ auf der Ägäis ganz zu schweigen. Zurecht bemängelt er im Übrigen, dass weder die genaue Zahl der Opfer noch ihre Identität bekannt gegeben worden sei, ebenso wenig wie die Identität der Brandstifter – am Ende verhaftete man sechs mutmaßliche Täter, Afghanen zwischen 17 und 19 Jahren. 

Als „schlimmer denn je“ bewertet Ziegler zudem die Aktivitäten von Frontex und einheimischen Grenzschützern an den südlichen und östlichen Territorialgrenzen der „Festung Europa“.  Aber nicht nur die EU stellt sich blind und taub gegenüber Tod und Verderben von Geflüchteten. Auch Groß-Britannien kennt angesichts im Ärmelkanal treibender 26 Leichen von Geflüchteten keinerlei Erbarmen, verschärft darauf hin einmal mehr seine Maßnahmen gegenüber „illegal“ Geflüchtete. Der Gipfel ist das zynische Verfahren des belarussischen Machthabers Lukaschenko, der den Geflüchteten, um die EU unter Druck zu setzen, ein Visum gewährt, um sie dann, angezettelt vom Geheimdienst, mit Bussen an die polnische Grenze zu karren, dort in die Wälder zu treiben, wo sie von polnischen Grenzschützern mit Schlagstöcken empfangen werden.

Den eigentlichen Grund der Misere sieht Ziegler im zunehmenden Rechtsruck, wie er in Europa zu konstatieren ist. Sein glühender Appell: Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, kurz Rassismus aller Couleur, gelte es unter Einbeziehung sämtlicher demokratischer Mittel zu bekämpfen. Hoffnung setzt er dabei auf die ‚neue, rasch erstarkende planetarische Zivilgesellschaft‘. Ein leidenschaftliches Buch. Ein wichtiges Buch.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

                 erf

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Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Penguin Verlag!

Voices FOR FUTURE!  Mai 2022

© erf: Konstruktiver Journalismus – Das Buch der Stunde

Ronja von Wurmb-Seibel: Wie wir die Welt sehen, Kösel-Verlag, München 2022

Nicht umsonst ist das Buch der mehrfach ausgezeichneten ehemaligen Zeit-Journalistin Ronja Wurmb-Seibel, die zwei Jahre als Reporterin in Kabul wirkte, unmittelbar nach Erscheinen die Spiegel-Bestseller-Liste hinaufgeklettert. Sehen wir uns doch neben ökologischer Krise nicht nur mit dem Ukraine-Krieg konfrontiert, sondern überdies mit dem Damoklesschwert eines drohenden Dritten Weltkriegs. Damit einhergehend geradezu eine Flut an Negativmeldungen. Hört man sich um, gewinnt man den Eindruck, dass immer mehr Menschen klagen, dies nicht mehr auszuhalten. Und nicht wenige unter ihnen reduzieren indessen ihren Nachrichtenkonsum auf ein Minimum und versuchen, dem das entgegenzusetzen, was ihnen schon immer geholfen hat in Krisenzeiten und woraus sie Kraft schöpfen. Sie gehen raus in die Natur, pflegen bewusst Beziehungen, praktizieren Achtsamkeit und Verbundenheit. Ein gutes Zeichen. Wir besinnen uns, gerade jetzt, wie wir in unserer Kraft bleiben, etwa auch in die Handlung kommen und mithelfen können, die mit diesem Angriffskrieg einhergehende Not der Ukrainer zu lindern. Und wenn uns dann Berichte zu Ohren kommen, wo sich Menschen engagieren, zusammenstehen und sich gegenseitig unterstützen, sehen wir die Welt anders, haben eine positivere Sicht darauf. Eine Lehre, die Wurmb-Seibel nicht zuletzt aus ihrer Zeit in Kabul gezogen hat, wo jede Menge schlimmer Geschichten im Umlauf waren, über die es zu berichten galt. Doch die Frage ist, worauf legen wir den Fokus. Denn immer, wenn ein dramatisches Ereignis uns aufscheucht, stellen sich auch Menschen ein, die selbstlos anpacken und Hilfe leisten. Und das hervorzuheben, erweitert den Horizont, öffnet unsere Wahrnehmung hin zu einer trostvolleren Perspektive auch angesichts schmerzlicher Ereignisse. Im Übrigen spiegeln Nachrichten nie die ganze Wirklichkeit wider, sondern nur einen kleinen Ausschnitt davon, und zwar das, wo etwas schiefgelaufen ist, so Wurmb-Seibel.

Leider sind Nachrichten im Sinne des Konstruktiven Journalismus noch immer dünn gesät. Veränderungsprozesse sind möglich, aber sie brauchen in der Regel ihre Zeit. Das Label Konstruktiver Journalismus ist nicht neu, kommt schon seit den 2010er Jahren zum Tragen. Geprägt haben den an die „Positive Psychologie“ knüpfenden Begriff, die neben Problembewusstsein vornehmlich auf Lösungen setzt, die dänische Journalistin Cathrine Gyldensted und der Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks, Ulrik Haagerup. Ausgehend von Erkenntnissen der Gehirnforschung, die besagen, dass eine positive Grundstimmung die Kreativität steigert, und Studien, die ergeben haben, dass das Bombardement mit Katastrophenmeldungen kollektiv das Gefühl der Ohnmacht und Resignation erzeugt. Die bekannten Folgen: Zunehmende Politikverdrossenheit bis hin zur Zunahme von Depressionen. All dies wird von Ronja von Wurmb-Seibel mit jeder Menge so farbiger wie überzeugender Beispiele unterlegt.

Zugleich sei klargestellt, dass es beim Konstruktiven Journalismus nicht um Schönfärberei geht. Es werden dabei ebenso Missstände aufgedeckt wie im klassischen Journalismus, aber eben unter Verzicht auf Schwarzmalerei. Statt vorschneller Antworten, stellt der Konstruktive Journalismus infrage, was als gegeben hingenommen wird, sucht nach Auswegen. In der Praxis hat sich erwiesen: Der Leser ist durchaus offen für „good news“. Gerade junge Leute bemängeln die nahezu ausschließliche Negativberichterstattung und wünschen sich ein Umdenken innerhalb der Medienlandschaft. Eine Berichterstattung, „die Woche für Woche daraus besteht zu erfahren, wie schlecht die Welt ist, so dass man am Ende nur noch die Decke über den Kopf ziehen möchte, scheint mir eine masochistische Veranstaltung zu sein“, so von Haagerup.

Und gerade jetzt scheint der richtige Zeitpunkt zu sein, der leider noch immer gängigen Medienstrategie „only bad news are good news“ umso mehr mit konstruktiven Beispielen entgegenzuwirken, wo Zusammenhalt, Empathie und Hilfsbereitschaft in den Fokus gestellt und lösungsorientierte Perspektiven eröffnet werden. Ronja von Wurmb-Seidel hat dazu mit „Wie wir die Welt sehen“ einen entscheidenden Beitrag geliefert.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Kösel-Verlag

Voices FOR FUTURE! Mai 2022
© erf: KONSTRUKTIVER JOURNALISMUS –
DAS BUCH DER STUNDE
Ronja von Wurmb-Seibel: Wie wir die Welt sehen, Kösel-Verlag, München 2022
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Voices FOR FUTURE!  Februar 2022

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 Zukunftsweisende Initiativen in Zeiten des Klimawandels

Sven Plöger & Christoph Waffenschmidt: Besser machen!, adeo Verlag in der SCM Verlagsgruppe, Asslar 2021

Eine bemerkenswerte Begegnung und Freundschaft zweier Männer, die wissen, wovon sie sprechen. Der durch Fernsehen und Rundfunk bekannte Wetterexperte und Diplom-Meteorologe Sven Plöger trifft auf den Vorstandsvorsitzenden von World Vision Deutschland, Christoph Waffenschmidt. Mit Vorlage dieses Buches haben sie nun ihr gemeinsames Ziel erreicht, nämlich auf 256 Seiten hoffnungsvolle Entwicklungen für eine lebenswerte Zukunft aufzuzeigen. Denn um den Auswirkungen einer umfassenden Umweltkrise globalen Ausmaßes entgegenzutreten, bedarf es nicht nur engagierten Knowhows, sondern auch einer lebensbejahenden Haltung, aus der wir Kraft schöpfen.

Nach dem Präsidenten des Umweltbundesamtes Prof. Dr. Dirk Messner haben wir es u.a. mit ‚schmelzenden Gletschern, steigendem Meeresspiegel, Dürren, Hitzewellen und Extremwetterereignissen, kollabierenden Ökosystemen’ zu tun, wie dem Nachwort zu entnehmen. Umso mehr bedarf es angesichts solch düsterer Prognosen und alarmierender wissenschaftlicher Ergebnisse eines optimistischeren, lösungsorientierteren Blicks auf die vor uns liegenden Herausforderungen, als derzeit meist der Fall.

Und es stellen sich dann auch gleich in dem ersten von vier kapitelbildenden Treffen der beiden Autoren die alles bestimmenden Fragen, inwieweit die Welt noch zu retten sei, wie das von der Pariser Weltklimakonferenz 2015 festgelegte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen wäre und wo anfangen angesichts der Komplexität all dessen? Allein die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen weisen unmissverständlich darauf hin. Darin angestrebt werden ‚keine Armut, kein Hunger mehr, Gesundheit, Wohlergehen, menschenwürdige Arbeit, weniger Ungleichheit sowie die Durchsetzung entsprechender Maßnahmen zu Klimaschutz, Frieden und Gerechtigkeit’.

Im lockeren Plauderton führen Plöger und Waffenschmidt weltweite Initiativen und praktizierte Methoden vor Augen, die allesamt davon zeugen, dass man es tatsächlich besser machen kann. So zum Beispiel die im Vorwort von dem damaligen amtierenden Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller erwähnte ‚Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima’, wonach immerhin 1.000 Freiwillige hier Kompensationsleistungen erbringen, die direkt in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern fließen. Etwa Wälder im peruanischen Amazonas-Becken aufzuforsten oder den tropischen Regenwald in Uganda zu renaturieren.

Aber nicht nur auf weltweite Projekte wird seitens Plöger und Waffenschmidt ein Auge geworfen. Wie dringend vor der eigenen Haustür ‚gekehrt werden muss‘, erweist sich nicht zuletzt im Hinblick auf jüngste Ereignisse, wie die Flutkatastrophe an Erft, Ahr und in der Region zwischen Eifel und Ruhrgebiet, wo die überwältigende Hilfsbereitschaft aus allen Regionen Hoffnung stiftet.

Doch auch über zahlreiche kleine Initiativen und Methoden wird berichtet. So von dem australischen Agrarwissenschaftler und alternativen Nobelpreisträger Tony Rinaudo. Ihm ist es bereits in den achtziger und neunziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts gelungen, eine einfache, kostengünstige und ressourcenschonende Methode zu erarbeiten, um auf diese Weise in Niger und Äthiopien ‚200 Millionen Bäume wiederzubeleben‘.

Oder das Programm „Channels of Hope“ von World Vision, das mit Hilfe von Geistlichen und ‚konstanter Beziehungsarbeit‘ inner- und außerhalb der Gemeinden zur Aufklärung bei HIV in Südafrika zum Einsatz kam und so maßgeblich zur Senkung der Infektionen beitrug. Ähnlich verfuhr man in Ebola in Westafrika, was Waffenschmidt hoffen lässt, so auch gegen das Corona Virus anzugehen.

Am Ende bringt es im Nachwort Dirk Messner wieder auf den Punkt: „Wir sind nicht hilflos“. Jeder kann sich einsetzen. Ein durchweg Hoffnung stiftendes Buch. Überdies mit den Infokästen auch von der Optik her übersichtlich, obendrein unterhaltsam!  

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!                

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem adeo-Verlag!

Voices FOR FUTURE! Februar 2022 Plöge & Waffenschmidt
Voices FOR FUTURE! Februar 2022
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Sven Plöger & Christoph Waffenschmidt: Besser machen!, adeo Verlag in der SCM Verlagsgruppe, Asslar 2021
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Voices FOR FUTURE!

OKTOBER-NOVEMBER 2021

© Erna R. Fanger  

Aufbruch in die Klimaneutralität

Ernst Paul Dörfler: Aufs Land. Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang, Hanser Verlag, München 2021

Dies aufrüttelnde Plädoyer für den entschiedenen Aufbruch in die Klimaneutralität trifft uns existenziell und führt dementsprechend mit umso unerbittlicherer Dringlichkeit die von uns selbst verschuldete Gefährdung unserer Lebensgrundlagen vor Augen. Beginnend mit einem leidenschaftlichen Blick, darauf geheftet, was wir soeben dabei sind zu verspielen, nämlich auf einen Sonnenuntergang an Nord- und Ostseeküste, wo sich allabendlich Menschen versammeln, diesem spektakulären Naturschauspiel zu huldigen. Szenerie, die sich zugleich als „Sehnsuchtsort und Wunderdroge“ erweist – setzt ein solches Erleben doch Glückshormone frei – und den Titel des ersten Kapitels abgibt.

Mit unserer rücksichtslosen, auf grenzenloses Wachstum und Konsumieren ausgerichteten kapitalistischen Art des Wirtschaftens haben wir uns – wider besseres Wissen – in eine nahezu ausweglose Lage, Krise katapultiert. Corona führt uns – als Krönung des Dilemmas – überdies die Verletzlichkeit unserer Spezies vor Augen. Dabei sprechen bei Dörfler, der übrigens schon zu DDR-Zeiten als so kompetenter wie kompromissloser Kritiker in Sachen Umwelt in Erscheinung getreten ist, aus jeder Zeile Naturverbundenheit, ein tiefes Wissen um ihre ineinander verschlungenen Kreisläufe und das Bewusstsein, wie eng verwoben das Leben des Menschen mit der Natur ist. „Auch wenn wir es vergessen haben: Die Natur ist unser Zuhause.“ Leseprobe Die Wirklichkeit in unseren Großstädten ist davon abgeschnitten. Die meisten leben in den Städten: „Im Jahre 2050 sollen es 70 Prozent sein. 25 Megacities mit jeweils über zehn Millionen Einwohnern werden bereits rund um den Globus gezählt.“ Leseprobe Zugleich nimmt hierzulande der Trend zu, im Umland, dem Speckgürtel, zu wohnen und in der City zu arbeiten, wir pendeln und belasten mit noch mehr CO2 die Atmosphäre. Einer vermeintlichen Freiheit aufsitzend, sind wir in Wirklichkeit laut Dörfler fremdbestimmt und manipuliert, Konsum zu unserem Lebensinhalt zu machen. Die Billiproduktion in ferne Länder verlegt unter menschenunwürdigen Bedingungen. Doch mit wachsendem Konsum wachsen unsere Probleme. Und unter all dem Stress des Höher, Weiter, Schneller versäumen wir es, uns um uns selbst, um den Boden unter unseren Füßen, zu kümmern. In drängender Bildersprache führt Dörfler eindringlich vor Augen:

„In fast allen Teilen unserer Welt brennt die Erde, vielerorts auch ohne sichtbares Feuer. Die Zahl der vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht. Stürme, Überflutungen, Dürren und Hungersnöte gehören zum Nachrichtenalltag. Wir nennen sie »Mutter Erde« oder »Mutter Natur« und heizen ihr tüchtig ein, indem wir sie plündern, vermüllen und vergiften ... “ Leseprobe

Dabei geht es Dörfler nicht nur darum, Umweltprobleme anzuprangern, sondern zu Lösungen zu gelangen. Und die kommen zunehmend weniger aus der Politik als vielmehr die Zivilbevölkerung immer wieder den Anstoß gibt. So etwa das Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern“, das der Bayerischen Staatsregierung eine neue Gesetzgebung abgerungen hat. Immer wieder lässt er durchblicken, dass wir es gemeinsam schaffen könnten, den Klimawandel aufzuhalten, und ermutigt. Und nicht selten sind es Kleinigkeiten, die den Unterschied machen: ein Strommessgerät zum Beispiel, das uns inspiriert.

Eindringlich bringt er uns Details nahe, wie etwa die grundlegende Funktion des Humus, woraus die obersten Schicht unserer Böden, auch als Mutterboden oder Muttererde bezeichnet, besteht, und deren entscheidende Funktion für biologische Vielfalt. „Mit jedem Prozent mehr Humus werden nach Angaben von Professor Axel Don vom Thünen-Institut pro Hektar 25 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre eingefangen und im Boden gespeichert.“ Der Wiener Maler, Architekt und Umweltschützer Friedensreich Hundertwasser, sagte einmal: »Alle großen menschlichen Kulturen waren zu Ende, als der Humus zu Ende war.“ Desgleichen sind es die Moorlandschafen: „Die wichtigsten natürlichen CO2-Speicher sind neben den Meeren die Wälder, die Moore und vor allem der Mutterboden. Diese CO2-Senken sind auch gleichzeitig Orte der Lebensvielfalt, der Biodiversität.“ Und sowohl Humus als auch Moorlandschaften werden vielfach renaturiert, entscheidende Maßnahmen in die richtig Richtung, wovon Dörfler noch etliche mehr in petto hat. Lassen Sie sich anstecken von seinem Elan, seiner Kompetenz und Erdverbundenheit. Jeder ist gefragt, hier mitzuwirken.

 Aber lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

 Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem

Carl Hanser Verlag, München 2021!

Voices FOR FUTURE! November 2021

 

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"Wir sind viele und wir werden immer mehr"

 

 

 

„Tax me now!“ – Millionenerbin und Vermögende fordern Reichensteuer

 

Die Wiener Studentin und Millionenerbin Marlene Engelhorn geht mit sich und ihrem Erbe kritisch ins Gericht*. Findet es „ungerecht“, so viel Geld zu erhalten, ohne dafür gearbeitet zu haben. Für sie der Startpunkt, sich zusammen mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit und der Bürgerbewegung Finanzwende.de für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen. Für sich selbst würde sie eine Erbschaftssteuer von 90 bis 95 % für angemessen halten. Nicht zuletzt sieht sie darin eine Gefährdung, erklärt, der Einfluss der Reichen auf Wirtschaft und  Politik sei viel zu groß und “brandgefährlich für die Demokratie.“ Selbst aus einer „Blase von Reichen“ stammend, absolvierte sie  ihre Ausbildung ausschließlich in privaten Einrichtungen. Erst seit ihrem Studium an einer öffentlichen Universität wurde ihr allmählich bewusst, wie viele unter prekären Verhältnissen lebten. Auf den Einwand der Moderatorin, sie könne sich mit dem Geld doch, nach dem Vorbild Luise Boschs, für eine gute Sache einsetzen, erläutert Engelhorn, sie sei keine Expertin. Die Probleme der Welt müssten demokratisch gelöst werden. Man könne nicht davon ausgehen, dass die Reichen wüssten, was es z.B. bedarf, das Klimaproblem zu lösen. Geld sei ein Machtinstrument. Und sie hält es in diesem Kontext auch für höchst problematisch, dass etwa Bill Gates der zweitgrößte Geldgeber der WHO sei, das heißt, dass seine Entscheidungen und seine Präferenzen direkten Einfluss auf die Entscheidungen der Welt-Gesundheits-Organisation nehmen. Auf die Frage, ob er nicht Präsident werden wolle, soll er geantwortet haben, wieso, er habe doch jetzt schon viel mehr Macht. Macht, die er allein seinem Vermögen verdankt, ohne dass er diese demokratisch legitimieren müsste. Ab einer bestimmten Größenordnung, so Engelhorn, sei Vermögen keine Privatsache mehr, sondern betreffe alle. Und hält dagegen, dass man in Österreich – in Deutschland dürfe es nicht viel anders sein – ab einem Jahreseinkommen von 11000 € 20 % Steuern zahlen müsse, das Geld dort fehle. Und es sei nicht nachvollziehbar, dass sie mit ihrem Millionenerbe nicht besteuert würde. In einer Demokratie müsse man über ein solches Ungleichgewicht reden. Als die Moderatorin seufzend konstatiert, Frau Engelhorn ‚flehe darum, besteuert zu werden’, wendet diese ein: „Ich appelliere an die Gesellschaft, sich für eine Steuerpolitik einzusetzen, die gerecht wäre.“

 

*dlf  Kultur, Im Gespräch, 13.10.2021

 

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Voices FOR FUTURE August-September 2021 

© Erna R. Fanger  

Unsere Finanzen – Wir haben es in der Hand

Wolfgang Kessler: Macht Wirtschaft! Ökonomie verstehen – und verändern, Publik-Forum, Verlagsgesellschaft mbH, Oberursel 2021

Schon gleich der Titel, Macht Wirtschaft!,springt ins Auge. Und ist Programm. Bringt dieses in sechs so genannte „Streitfelder“ mit strikt durchgetakteten Kapiteln gegliederte Buch doch Licht ins Dunkel des schwer durchschaubaren Dschungels der Ökonomie mit ihren weltweit ineinander verzahnten Machenschaften. Gefolgt von einem siebten Abschnitt mit „Tipps … für eigene Recherche“ mit 10 konkreten Handlungsimpulsen, um die Wirtschaft nachhaltig zu verändern.

Nicht zuletzt bilden besagte Streitfelder – der Untertitel verrät es – Ausgangsbasis, die Wirtschaft, die so, wie sie derzeit strukturiert ist, nicht funktionieren kann, zu verändern. Die Aufgabe scheint gewaltig. Aber wie alles, beginnt sie mit dem ersten Schritt. Und mit ein solcher erster Schritt ist mit diesem Buch getan.

Den Beginn bildet eine Erhellung des Streitfelds Markt und Staat. Hat sich seit den letzten Jahrhunderten, weltweit im Zuge der letzten Jahrzehnte, als Wirtschaftsordnung die sogenannte Marktwirtschaft mit ihren vier Grundpfeilern „Privateigentum, „Gewinn“, „Konkurrenz“ und „Markt“ und dem Credo insbesondere der Vertreter des Neoliberalismus der „Selbstheilungskräfte des Marktes“ etabliert, aus der letztlich alle Gewinn zögen, wird dies am Ende als „Utopie“ entlarvt, die schließlich in die Weltwirtschaftskrise von 1931 mündet. Vertreten Konservative eher neoliberalistische Auffassungen von Staat, wo dieser sich aus der Wirtschaft herauszuhalten hat, favorisieren Linke das Keynesianische Modell nach John Meynard Keynes, das dem Staat regulative Eingriffe in den Markt zubilligt, wie etwa Kredite aufzunehmen und Staatsaufträge zur Wiederbelebung der Wirtschaft zu erteilen. Des Weiteren sprechen wir vom realen Kapitalismus, wo kleine Unternehmen von den großen aus dem Markt gedrängt werden, dem globalen Kapitalismus, der in den letzten 4 Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges zunehmend expandiert ist, und schließlich digitalem Kapitalismus seit den 2000er Jahren, einhergehend mit der digitalen Revolutionierung sämtlicher Lebensbereiche. Verzeichnete der globale Kapitalismus anfänglich beachtliche Erfolge nicht zuletzt in den Schwellenländern, haben sich indessen die Schattenseiten abgezeichnet, wie die zunehmende Spaltung weltweit der Gesellschaft in Arm und Reich. Denn profitieren tut nur, wer überhaupt Zugang hat zu den Märkten und sich dort behauptet. Auf der Strecke bleiben dabei etwa prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen, die Angehörige pflegen oder zu jener Milliarde zählen, der ohnehin jeglicher Zugang verwehrt ist. Mit dem Ergebnis, dass 2020 die drei Reichsten der Welt so viel besitzen wie 49% der Gesamtbevölkerung. Auch die weiteren „Streitfelder“, Wachstum und Klima, Arbeit und Gerechtigkeit, Geld und Spekulation, Welt und Wirtschaft, Streitfeld Zukunft, warten einerseits mit einer detaillierten Analyse auf, die jedoch bei aller Sorgfalt und Genauigkeit auch für nicht Eingeweihte nachvollziehbar und gut lesbar ist. Suggeriert die kapitalistische Marktwirtschaft einerseits, dass uns Wohlstand nur durch „immer mehr, immer schneller, immer weiter“ beschieden bliebe, nach dem Motto, „Stillstand ist Rückschritt“, werden andererseits das Wohlstandsmaß des Bruttoinlandsprodukts als Richtschnur infrage gestellt und die näher rückenden Grenzen des Wachstumsdagegengehalten –vom Club of Rome bereits seit 1972 in seiner Bahn brechenden Schrift gleichen Titels propagiert. Damit liegen die Fakten der begrenzten Ressourcen als den Planeten bedrohendes Szenario auf dem Tisch. Warnschuss, der im Zuge neuer Technologien jedoch an Dringlichkeit einbüßt mit der Folge zunehmender Bedrohung des Planeten einschließlich seiner Bewohner. Der ständige Druck, unter dem dabei auch der Einzelne steht, hat nachweislich zur dramatischen Zunahme psychischer Erkrankungen geführt. Nicht zuletzt stellt sich hier die Frage nach dem Bruttosozialglück, entsprechend dem Vorbild des Kleinstaats Bhutan, wo das Wohlbefinden der Bürger, nicht der materielle Wohlstand, Maß und Richtschnur bildet. Unbestritten ist indessen, dass Wirtschaftswachstum, beruhend auf dem Verbrauch fossiler Ressourcen, der Hauptgrund für Klima- und ökologische Krise sind, der grüne Politik mit entsprechendem Umbau von Energiewirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft entgegenzuwirken gewillt ist. Den Kritikern hingegen geht dies nicht weit genug. Statt grünen Wachstums lautet deren Devise „weniger ist mehr“. In diesem Sinne fordern sie stattdessen eine „Postwachstumsökonomie“ mit „Rückbau der Industriegesellschaft“, wobei lebensnotwenigen Gütern gegenüber kommerziellen Konsumgütern und Dienstleistungen, wie etwa der Ausbau des Nahverkehrsnetzes gegenüber dem Individualverkehr, Priorität eingeräumt wird. Ebenso plädieren sie für eine „Entglobalisierung der Wirtschaft“ mit Gewicht auf regionale Wirtschaftskreisläufe, um den Energieverbrauch im Zuge weltweiter Liefer- und Transportwege zu reduzieren. Des Weiteren „Langlebige Kreislaufwirtschaft“ sprich Ablösung der Wegwerfwirtschaft durch Recycling mit Vorrang der Reparatur gegenüber Neuproduktion. Weitere Forderungen betreffen „Nutzen statt Besitzen“, wo Konsumgüter gemeinschaftlich genutzt werden, sowie „Eigenarbeit“ unter der Voraussetzung von weniger Erwerbsarbeitsstunden, etwa im Anlegen von Gemeinschaftsgärten zur Selbstversorgung und, last but not least, „Umverteilung von Reichtum“ mit Abkehr von der Vollerwerbszeit hin zu Einführung eines sozialen Grundeinkommens, um die Folgen der wirtschaftlichen Neuorientierung abzufedern. All die bislang skizzierten Positionen werden in dem Kapitel „Gegenfragen und Widersprüche“ einmal mehr aus der Perspektive der dem entgegenstehenden Beharrungskräfte erhellt. Was vor der Lektüre dieses Leitfadens durch den undurchdringlich anmutenden Wust ökonomischer Zusammenhänge schwerlich auseinanderzuhalten schien, fängt an sich zu lichten. Der bestens recherchierte Hintergrund wird zunehmend transparent, die Argumente der einzelnen Vertreter bestimmter Positionen lassen sich auf deren ideologische Ausrichtung zurückführen. Nach und nach erwirbt der Leser Kompetenz, sie entsprechend einordnen und mitreden zu können. 

Unser Fazit: Ein unbedingt lesenswert und hilfreiches Buch, das Orientierung im gesellschaftlichen Wandel verheißt, den die Menschheit anzugehen jetzt aufgefordert ist, soll die Erde auch künftig noch ein bewohnbarer Ort für alle bleiben. Nicht zuletzt Leitfaden, der uns instand setzt, unseren Beitrag zu der erforderlichen Umstrukturierung unseres Wirtschafts- und Finanzwesens zu leisten. 

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!                                               Archiv

Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt der Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH!

Voices FOR FUTURE! September 2021

 

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Handeln JETZT! – Zeit ist unser knappstes Gut

 

Positionspapier des Rats für Nachhaltigkeit und der Leopoldina 

 

In einem ergreifenden Appell in Essay und Diskurs* fordert der Schriftsteller und Journalist Mathias Greffrath dazu auf, an der „Bewahrung erträglicher Lebensbedingungen auf unserem Planeten“ mitzuwirken. Anlass ist das Positionspapier des Rats für nachhaltige Entwicklung in Kooperation mit der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Darin enthalten, 14 Empfehlungen mit konkreten Handlungsoptionen. 

 

Dabei geht es im Wesentlichen darum, starke Allianzen und globale Klimapartnerschaften vorantreiben, den European Green Deal und das neue Klimaziel in den Rechtsrahmen einer umfassende Anpassung der deutschen Klimaschutzgesetzgebung einzuweben.Ökonomisch gilt es, so viel Markt wie möglich bei so viel Regulierung wie nötig zuzulassen. Und: Der Strukturwandel muss – und zwar global – sozial ausgewogen sein. Ebenso wie Umbau des Energiesystems, transformativer Wandel der Industrie und bei Mobilität, Gebäuden und Landnutzung forciert werden müssen. Dazu bedarf es, Investitionspfade im Sinne des Pariser Abkommens zu definieren sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie mit klimafreundlichen Innovationsmärkten zu stärken, mit dem Ziel, eine Kreislaufwirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen – vom Design bis zum Recycling – einzuleiten und zukunftsträchtige Investitionen in die Infrastruktur zu beschleunigen. Gleichzeitig gilt es, Bildung, Forschung und Entwicklung den richtigen Stellenwert einzuräumen, was einerseits ressortübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung, aber auch mehr inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit bedarf.Das alles im Zuge innovativer Finanzierungslösungen ebenso wie zusätzlich umfangreiche Privatvermögen aktiviert werden müssten. Nicht zuletzt bedarf dies wiederum, nachdrücklich Akzeptanz sowie das Engagement von Bürger*innen zu fördern.

 

Für Greffrath „ein großartiger strategischer Aufriss für den Übergang in ein neues Energiezeitalter gemäß den Zielen des Pariser Abkommens, und das in 30 Jahren, Roadmap und Kursbuch für die postfossile Welt“, zugleich Erfüllung eines Menschheitstraums von einer gerechten Welt, in der jeder in Würde seinen Platz finden kann. Doch bedürfe es der Begeisterung und Kreativität aller, es auf den Weg zu bringen. Was hält uns ab!

 

*DLF 20.06.2021 Inventur und Neustart (2/3): Gedanken zur Rolle der Wissenschaft in der Energiewende                                                                                                               Archiv

 

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Voices FOR FUTURE! Mai 2021

© Erna R. Fanger

 

Mehr Menschlichkeit! –  Ein packendes Plädoyer

Elif Shafak: Hört einander zu!, aus dem Englischen von Michaela Grabinger, Kein & Aber AG Zürich – Berlin 2021

Ein kleines Büchlein wie ein Aufschrei, ein Aufschrei nach mehr Menschlichkeit im Zuge des Nachdenkens über „Einsamkeit, Wut und Schmerz“, von der türkischen Schriftstellerin Elif Shafak in sechs überschaubaren Kapiteln durchdekliniert, angereichert mit einer Vielzahl an  Referenzen auf Poesie und Dichtung, Psychologie und Philosophie.

„Ich möchte gehört werden. Wenn all das vorbei ist, möchte ich in einer Welt leben, in der ich gehört werde“, lautete eine der Antworten auf die Frage „Wie soll sich die Welt verändert haben, wenn all das vorbei ist“, geschrieben auf eines der Holzschilder, auf dem Höhepunkt der Pandemie in englischen Parks aufgestellt. Bürger nutzten dies, ihr Statement abzugeben. Aus obigem Appell sprechen Trauer und Resignation, aber auch Anklage. Zugleich Ausdruck der Ohnmacht vieler angesichts des Zustands einer fragmentierten, zersplitterten Welt, in der in den letzten Jahrzehnten die Spaltung der Gesellschaft rasant vorangeschritten ist. Wo der Einzelne sich zusehends weniger als Akteur und Mitgestalter erlebt als vielmehr als Zuschauer, und die Geschichte, die er zu erzählen hätte, immer weniger Gehör findet. Wobei Shafak in eben solcher „Teilnahmlosigkeit“, dem Mangel an (Mit)Gefühl, die größte Gefahr sieht; Stichwort europäische Flüchtlingspolitik, um nur ein Beispiel zu nennen.

Shafak weist darauf hin, dass aktuelle Umfragen ergeben haben, dass gerade junge Menschen sich Sorgen machen angesichts Klimawandel, unsicherer Jobs, steigender Mieten, undurchdringlicher Machenschaften auf den Finanzmärkten, Rassismus und der Überhand nehmenden Macht der Datenmonopole wie von Logarithmen, die unser Konsumverhalten steuern. Angst greift um sich, Wut und Schmerz gesellen sich hinzu – sie ruft uns den schmählichen Mord an George Floyd, ausgeübt von einem Polizisten, ins Gedächtnis. Darüber gesprochen, was all dies in unserer Seele anrichtet, wird kaum. Für Gefühle ist wenig Raum im hippen Cyberspace. Sie anzuerkennen, ihnen Rechnung zu tragen, wäre ein erster Schritt, die Vitalität und Lebendigkeit, die ihnen innewohnt, in eine konstruktive gesellschaftsverändernde Kraft umzuwandeln. 

Eine bedeutsame Rolle misst sie der Sprache bei: „Diskriminierung beginnt immer mit Worten“. Und beschert uns die tagtägliche Flut an Informationen zu viel davon, mangelt es zugleich an Wissen und Einsicht. Letztere wiederum brauchen Zeit, sind nicht auf Knopfdruck zu haben. Es bedarf dazu, dass „Hirn und Herz verbunden, die emotionale Intelligenz aktiviert und die Empathie vertieft [werden].“  Dazu brauchen wir Geschichten.  „Geschichten führen uns zusammen. Nicht erzählte Geschichten trennen uns“, so Shafak. 

Hört einander zu!  ist mehr als ein Appell, vielmehr eine Haltung, die es zu kultivieren gilt. 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt der  Kein & Aber AG

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Voices FOR FUTURE!                                                                                                  

November- Dezember 2020            

©  Hartmut Fanger 

Ecclesia semper reformanda“ – Kirche heißt stets Veränderung

 

Julian Sengelmann: „GLAUBE JA, KIRCHE NEIN? WARUM SICH KIRCHE VERÄNDERN MUSS“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, April 2020

Ein nicht nur für Kirchenkreise streitbares Buch, das sich aufgrund seiner brisanten Thesen gewiss für manche im ersten Moment als schmerzhaft erweist. So etwa, wenn es heißt, dass man alte Gewohnheiten aufgeben, sich vieles verändern, Kirchen gar schließen müssten. Doch der Autor, evangelischer Pastor, Moderator, Schauspieler, Sänger und Songwriter Julian Sengelmann, versteht es, dem Leser auf 284 Seiten inklusive Anmerkungen ein lebendiges Bild zu vermitteln, wie Kirche neu zu denken wäre. Und er tut dies eloquent, angereichert mit anschaulichen Beispielen, sodass wir ihm gerne folgen. Dabei überzeugt er mit so scharfsinnigen wie differenzierten Argumenten und nicht selten, obschon wohlwollenden, Provokationen:Wir kommen nicht umhin, Veränderung ist unabdingbar. 

Und dies nicht nur angesichts stark sinkender Mitgliederzahlen – Studien besagen, dass sie sich bis 2060 halbieren werden. Und nur drei Prozent der Mitglieder besuchen sonntags einen evangelischen Gottesdienst. „Die Kirche muss sich also verändern, weil sie nie im luftleeren Raum existiert. Sie ist (...) im Kontext von Welt, Menschen, Gesellschaft, Politik, Lebensentwürfen, Sehnsüchten, Zeitgeist und vielen anderen Faktoren zu verstehen.“

Und es sind exakt jene ‚drei kleinen Worte’, „ecclesia semper reformanda“,anhand derer der Autor deutlich macht, warum Kirche nicht an herkömmlichen Strukturen, Gewohnheiten und Ritualen festhalten kann und darf. Drei Worte, die Kirche grundlegend mit Veränderung in Verbindung bringen, wie es sich bereits Martin Luther im Zuge der Reformation auf die Fahnen geschrieben hat. Veränderung, nicht zuletzt auch notwendig, um einer auf vielen Ebenen sich rasant wandelnden Wirklichkeit sowie den daraus resultierenden neuen Aufgaben und Pflichten gerecht zu werden. Dabei besteht laut Sengelmann vor allem die Notwendigkeit des Verzichts auf Exklusivität im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich Andersdenkende auszuschließen, sie abzuweisen. Vielmehr ist das Gebot der Stunde, den Menschen in ihrem Alltag wieder näherzukommen. 

Doch wie gelangen wir zu Lösungen? Zunächst einmal gilt es in einer Art Introspektion, den Gründen nachzugehen, warum derzeit so viele aus der Kirche austreten. Dabei liegt es schon fast auf der Hand, wenn vielfach konstatiert wird, dass Kirche mit ihrer klerikalen Sprache und den teils festgefahrenen Ritualen der eigenen Lebenswirklichkeit fern sei, man überdies mit einem Gott, wie in biblischen Geschichten und Mythologien vermittelt, heute nichts mehr anzufangen wisse, dies eher befremde. 

Wie das anders gehen kann, zeigt Sengelmann u.a. anhand von Beispielen aus eigener Praxis auf. Etwa bei Hochzeiten oder Trauergottesdiensten, wo traditionelle Riten mit dem Leben des Menschen verknüpft werden. Dabei kommt die ‚Schönheit eines klassischen Gottesdiensts’ ebenso zum Tragen wie die Trauerfeier für einen Menschen im kleinen Kreis mit Liedern von Reinhard Mey und „Imagine“ von John Lennon sowie dem ‚Lesen eines fiktiven Briefes der gerade geborenen Tochter an die Oma’, der zugleich Kern der Predigt darstellt. Berührende Zeremonien, die im Grunde jeden Gottesdienst zu einer facettenreichen, lebendigen Begegnung werden lassen können. "Let's make Gottesdienst great again" lautet dementsprechend  ein Kapitel in dem lesenswerten Buch, das mit der ambivalenten, nichtsdestotrotz Hoffnung stiftenden „Erkenntnis des Tages“ endet: „Ich mag Kirche – häufig. Manchmal sehr und hin und wieder Aspekte daran überhaupt nicht. Aber es lohnt sich, sie am Leben zu halten.“ 

Aber lesen Sie selbst, lesen Sie wohl! 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Rowohlt Taschenbuch Verlag!

Voices FOR FUTURE! 

September-November 2020 

© Erna R. Fanger   

 

Liebenswerte Spinner – Heilige Narren

Tania Kibermanis: „Spleen Royale. Alles, was Sie über Exzentriker wissen sollten“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.

 

Bewahre dir deine Träume. 

Die Vernünftigen träumen nicht so

schön wie der Verrückten. Charles Baudelaire

  

Im zivilisierten Leben der westlichen Hemisphäre hat, selbst im 21. Jahrhundert, letztlich doch alles seine unverrückbar anmutende Ordnung. Mehr oder weniger stereotyp durchlaufen wir die üblichen Stationen von der Wiege bis zur Bahre in rigiden Bahnen. Und so mancher fügt sich nicht ohne Zähneknirschen dem Erwartungsdruck erfolgreicher Daseinsbewältigung. Nicht so der Exzentriker. Lieber verzichtet er auf den Lorbeer, der mit Glück demjenigen gebührt, der erfolgreich in der Mitte der Gesellschaft agiert, und richtet sein Leben am Rand aus, ein bisschen verrückt also. Dort, wo er, unbehelligt von normativen Ansprüchen – in seinem Lebensentwurf nicht vorgesehen –, ‚schön träumen’ und sich seine eigene Welt zusammenbasteln kann. 

Das mutet schillernd an, und so liest es sich auch. Denn Tania Kibermanis weiß, wovon sie schreibt, kennt sich aus in dieser bislang weniger beachteten Spezies. Eloquent bringt sie uns Letztere so kenntnisreich wie warmherzig und nicht zuletzt mit Witz nahe. Analytisch ans Werk gehend, fragt sie erst mal nach: „Was heißt hier eigentlich exzentrisch“, um sich dann durch verschiedene Arten und Abstufungen der exzentrischen Persönlichkeit hindurchzuarbeiten. Wobei sie dem Leser ein farbiges Spektrum präsentiert: vom schwäbischen Tüftler, über den Adel, dazwischen jede Menge vielgestaltiger Vertreter – Dandy, Snob, Bohemien, aber auch Baumeister, Katzenfrau, Eremit oder Asket, um nur einige zu nennen. Was diese bei allen Unterschieden vereint, ist ihre ungebrochene Neugier auf all die Abenteuer, die denjenigen beschieden sind, die sich vom Joch der Norm und ihren festgesteckten Grenzen losgesagt haben und mit Lust am Experimentieren ihre ureigenen Erfahrungen sammeln und Kenntnisse gewinnen. 

Und wer sich jetzt an der Schwelle zum Exzentriker wähnt, sich gar bislang nur nicht getraut hat, seine Eigenheiten so kompromisslos zu entfalten, wie hier dargelegt, dem schlägt das Herz höher. Lernt er doch neben der bunten Palette an farbigen Einzelgängern von der Pike auf auch deren Besonderheiten und Kompetenzen kennen. So etwa spezielle kulinarische Gelüste, ausgefallene, nicht selten selbst designte Outfits oder die Aufhebung der rigiden Vorgaben von richtig und falsch. Zu den Kernkompetenzen wiederum zählt unbedingt das Serendipitieren, wo man auf der Suche nach etwas Bestimmtem zufällig auf ganz anderes, das man gar nicht beabsichtigt hat, stößt, Dinge erfährt, mit denen man nicht gerechnet hat, und die einen dann unverhofft bezaubern können. Last but not least darf hier auch das so genannte Prokrastinieren – von Kibermanis ausgewiesene „Königsdisziplin“ des Exzentrikers – nicht unerwähnt bleiben. Das heißt etwa, sich ohne Sinn und Zweck und Ziel auf den Weg zu machen, den man nicht kennt, offen für all die Begegnungen und Ereignisse, offen dafür, jederzeit das Leben und die Feste, die es denjenigen offenbart, die den Blick frei haben, zu feiern.

„Spleen Royale“, von fundierter Kompetenz und  funkelndem Detailreichtum ist in vielfacher Hinsicht ein Gewinn. Und weil es immer wieder darum geht, wie wir so ticken, wird dabei in dem Kapitel „Geht Exzentrik auf Krankenkasse? Von Neuro und Psycho und was die Medizin so zu sagen hat“ in einer Art Crash-Kurs in Neurowissenschaften die Funktion des Gehirns nach neuester Erkenntnis erläutert. Ein Glanzstück des Bandes und genialer Wurf, womit Kibermanis in jedem Leser, der auch nur ein Fünkchen Interesse daran mitbringt, das Feuer der Wissbegier und die Lust an Erkenntnis entfacht. Und nebenbei hat das Büchlein ganz absichtslos den Effekt, dass es dem pflichtbewusst Strebsamen, stets bemüht, das ihm Aufgetragene nach Kräften zu bewerkstelligen, Entlastung verschafft. Wir können auch anders, raunt es ihm zu. Wir müssen nicht ohn’ Unterlass nach der Pfeife derjenigen tanzen, die glauben die Tonart bestimmen zu können, wir können genauso gut unserem eigenen Lebensklang nachspüren und ihm mutig folgen, sei er noch so schräg, noch so versponnen. Somit ist der Band zugleich eine Einladung, einfach sich selbst, mit sich und seinen kleinen Marotten eins zu sein.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl.

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Rowohlt Taschenbuch Verlag! 

Voices FOR FUTURE! August 2020

© Erna R. Fanger

Finanzpolitik am Scheideweg – 

Aufbruch in einen neuen Gleichheitshorizont

Thomas Piketty: „Kapital und Ideologie“, aus dem Französischen von André Hansen, Enrico Heinemann, Stefan Lorenzer, Ursel Schäfer und Nastasja S. Dresler, Verlag C.H. Beck, München 2020.

Nach seinem Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (2014), einer so streitbaren wie grundlegenden, groß angelegten Analyse unserer ökonomischen Gegenwart, legt der französische Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Pariser Elitehochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales, Thomas Piketty, mit „Kapital und Ideologie“ jetzt nach. 

Zunächst einmal erwartet den Leser eine fundierte Analyse europäischer Ungleichheitsgeschichte, von den Anfängen an im Mittelalter bis zur Gegenwart. Gefolgt von der Erhellung der Kolonial- und Sklavenhaltergesellschaft, wo er auch die indische, chinesische und russische Geschichte miteinbezieht. Des weiteren beleuchtet er die Katastrophe, die die beiden Weltkriege über die Menschheit gebracht haben, und entlarvt ihr selbstzerstörerisches Potenzial als Erbe der europäischen Eigentümergesellschaften. Sei es der sozialdemokratischen Nachkriegs-, sei es der kommunistischen und postkommunistischen Entwicklungen, oder des gegenwärtigen Hyperkapitalismus. Abschließend wendet er sich in entschiedenem Tenor einer politischen und soziologischen Gegenwartsanalyse zu. Wobei er den Finger in die Wunde legt: „Man denke an die Diskriminierung, der Obdachlose oder Menschen einer bestimmten Herkunft und aus bestimmten Vierteln ausgesetzt sind. Oder an die Migranten, die im Mittelmeer ertrinken.“ Leseprobe

Die eigentliche Herausforderung unserer Zeit sieht indessen in der „identitären Falle“, wie er es anhand der Entwicklung der Sozialdemokratie exemplifiziert. Die habe sich sukzessive von einer Arbeiterpartei in eine Partei von Akademikern gewandelt – wurde demnach tragischerweise Opfer ihrer eigenen Bildungspolitik. Der Arbeiter, heute eher prekär Beschäftigte und in dieser zwiespältigen Erfolgsgeschichte leer ausgegangen, gehöre wiederum zu den Globalisierungsverlierern. Letztere, gespalten in Anhänger der „Kulturlinken“ und „Businessrechten“, bildeten indessen, politisch heimatlos geworden, das Potenzial, das sich auf seine nationale Identität rückbesinnt und sich schlimmstenfalls am rechten Rand radikalisiert, wie heute allenthalben in der westlichen Welt zu beobachten, sei es in Europa, sei es in den USA , aber auch in Lateinamerika, eklatant derzeit in Brasilien. 

Pikettys Hauptthese in dem monumentalen 1300-Seitenwerk: „Die soziale Ungleichheit ist weder ein technologisches noch ein ökonomisches Phänomen, sondern ein politisches und ideologisches.“ Leseprobe Sprich die so grundlegenden wie wirkmächtigen Annahmen über das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft begrenzen zunehmend politische Entscheidungen zugunsten des Marktes und rechtfertigen die fortgesetzte Ungleichheit mit immer neuen Argumenten als scheinbar alternativlos. Dies schlägt sich im Übrigen auch in der Buchkritik seiner Gegner nieder, wo die Beharrungskräfte mächtig Blüten treiben. Was nichts daran ändert, dass besagte Ungleichheit nicht nur den sozialen Zusammenhang gefährdet, sondern auch die wirtschaftliche Produktivität beeinträchtigt. Denn, so Piketty, ‚es war der Kampf für Gleichheit und Bildung, der die Wirtschaftsentwicklung und den menschlichen Fortschritt möglich gemacht hat, nicht die Heiligsprechung von Eigentum, Stabilität und Ungleichheit.‘

Die daraus resultierende Forderung nach Umverteilung bedürfe jedoch einer grundlegenden Verschiebung der oben erwähnten ideologischen Vorgaben. Piketty plädiert daher für einen neuen „partizipatorischen Sozialismus“ mit entschieden mehr Bürgerbeteiligung. Zugleich fordert er eine radikale Reform aller Steuern durch Progression und eine Stärkung demokratischer Prozesse, wie zum Beispiel der Mitbestimmungsrechte in Unternehmen. Desgleichen ein Grundeinkommen für jeden sowie einen großzügigen Bildungsetat. Dabei plädiert er dafür, sich von der Zerstückelung des Wissen mir immer ausdifferenziertere Einzeldisziplinen zugunsten interdisziplinärer Wissensvermittlung zu verabschieden.

Piketty, von der Linken gefeiert, von der Finanzwelt verpönt, bringt Bewegung in die Kapitalismusdebatte. Ein Verdienst, das ihm keiner absprechen kann, ist, dass indessen auf Basis genauer Daten nachweislich auf der Hand liegt, dass die aus dem Gleichgewicht geratene Vermögensentwicklung des reichsten Zehntels der Weltbevölkerung zugunsten derselben für jedermann offenkundig ist. Die negativen Folgen auf globaler Ebene sind weitgreifend, komplex und denen, die sie erleiden, hinreichend bekannt. 

Mit seinem Plädoyer für einen „neuen, partizipativen Sozialismus“ und den Aufbruch in den „universalistischen Horizont einer neuen Ideologie der Gleichheit, des gesellschaftlichen Eigentums, der Bildung, der Wissens- und Machtverteilung“ präsentiert Piketty ein optimistisches Narrativ, das Vertrauen in die Natur des Menschen setzt und somit seine besten Kräfte zu motivieren vermag.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl.

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem C.H. Beck Verlag!                                                                                        Zum Archiv 

Voices For Future! Juli-August 2020

© Erna R. Fanger

Eine neue Realität 

Maja Göpel: „Unsere Welt neu denken. Eine Einladung“, Ullstein Verlag, München 2020

Weder als Appell noch als Klage oder gar mit erhobenem Zeigefinger kommt dieses Buch der Politökonomin, Nachhaltigkeitsforscherin und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Maja Göpel daher, sondern als Einladung. Schon das lässt aufhorchen. Und erschienen kurz vor Ausbruch der Corona-Epidemie, kommt ihr Buch zum richtigen Zeitpunkt. ‚Unsere Welt neu zu denken’, ist das Gebot der Stunde angesichts des multifaktoriellen Dauerzustands einer Krise der Menschheit, die auf deren Abschaffung hinausläuft. 

Dem in der gebotenen Dringlichkeit entgegenzuwirken, ist eine Aufgabe, die alle betrifft. Aufgabe in doppeltem Wortsinn: als Herausforderung und Appell, das zugunsten nachhaltiger Konzepte aufzugeben, was zu den ökologischen Aporien geführt hat, in die wir geraten sind. Das heißt zunächst einmal zurückzuverfolgen, was im Zuge der Explosion industriellen Wachstums, vornehmlich seit dem Zweiten Weltkrieg, wo auf Kosten der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen sagenhafter Wohlstand kreiert wurde, falsch gelaufen ist. Erst wenn wir das analysiert und herauskristallisiert haben, können wir unsere Wirtschaft neu ordnen. 

Immer mehr Menschen begreifen indessen, eine Systemwende ist unumgänglich. Dass wir von entsprechenden Lösungsstrategien, etwa in der Nachhaltigkeitsforschung, nicht so weit entfernt sind, wie viele glauben, will dieses Buch weniger aus Sicht der Klimaforschung, als vielmehr aus der Perspektive der Gesellschaftswissenschaftlerin, als die Maja Göpel sich versteht, klarstellen. Wirtschaften muss dabei als Beziehungsgeschehen gedacht werden. Die Frage ist, wie wollen wir wirtschaften, in Beziehung zur Natur ebenso wie in Beziehung von uns Menschen untereinander. Das ist der Kerngedanke einer Wirtschaft, die letztlich nicht auf Profit, sondern zum Nutzen des Gemeinwohls ausgerichtet ist. Denn was nützt die Freiheit des Individuums – als Totschlagargument gegen jede Art von Veränderung immer wieder ins Feld geführt – in einer außer Kontrolle geratenen Dynamik der Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlagen. Dem Menschen des Anthropozäns wiederum kommt darin die Rolle des allumfassenden Wirkungsfaktors zu. 

Darüber hinaus gilt es, sich klarzumachen: Wir leben in einer neuen Realität. Vor nur fünfzig Jahren stand relativ wenigen Menschen, etwa 3,6 Milliarden insgesamt, viel Planet zur Verfügung. Seitdem haben wir in bedrohlich rasantem Tempo eine Bevölkerungsexplosion erlebt, zählen indessen Ende 1919 7,7 Milliarden, Tendenz steigend. Das bedeutet definitiv weniger Planet für immer mehr Menschen. Tragen wir dieser Realität nicht Rechnung, wird es zum Zusammenbruch führen. Dementsprechend gilt es, einen radikal anderen Umgang mit Ressourcen und Verteilung von Gütern in die Wege zu leiten, sodass die Teilhabe aller möglich ist, damit auch Freiheit und Würde des Individuums gewährleistet sind.

Was Maja Göpel hier beschreibt, ist nicht neu. Neu daran ist, wie sie es bewerkstelligt, nämlich in einem von Eindringlichkeit und Empathie getragenen Selbstverständnis: 

In unserem Verhältnis zur Natur zeigt sich die ganze Anmaßung menschlichen Wirtschaftens. Indem der Mensch die natürlichen Systeme seinem Bedarf unterwirft, reduziert er ihre Vielfalt, macht sie verletzlicher und braucht einen immer größeren Aufwand, um sie zu stabilisieren. Menschliche Systeme sind nicht nachhaltig und müssen notgedrungen zusammenbrechen, wenn wir nicht lernen, sie umzubauen.Leseprobe

In diesem möglichen Endzeitszenario müssen wir uns die Frage stellen, welches sind die strukturellen, politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Weichen, die uns daran hindern, darauf angemessen zu reagieren. Wie können wir sie neu ausrichten.

Eben dies sieht sie als Problem bei den Wirtschaftswissenschaften, die eines Updates bedürften, gehen sie doch weitgehend vom Menschen als von egoistischer Natur, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, aus, der so erstaunlichen Wohlstand kreiere. Ein Menschenbild, das falsch sei. „Ein System, das Egoismus belohnt, erzieht zum Egoismus. Wir brauchen eine Neubetrachtung der Werte, die Menschen in ihrer kooperativen Lebendigkeit stützen.“ Leseprobe

Doch lesen Sie selbst!

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Ullstein Verlag!

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© Erna R. Fanger schreibfertig.com:

Voices for Future Juni 2020

Nur eine Krise – wirklich oder wahrgenommen - produziert echten Wandel

Milton Friedman

Corona – Katalysator für Erneuerung

„Das Neue ist längst da“*

Eine ähnliche Bewandtnis wie mit dem Begriff „Krise“ hat es mit dem Begriff „Apokalypse“. Vor beidem schrecken wir instinktiv zurück. Sehen wir genauer hin, birgt die Krise jedoch zugleich auch das Moment hoffnungsvollen Aufbruchs in sich, letztlich leitet der Begriff sich aus dem Griechischen ab und bedeutet soviel wie „Entscheidung“, „entscheidende Wende“. Ebenso wenig wie die Apokalypse eben nicht nur den Weltuntergang bezeichnet, sondern zugleich die Vision und Offenbarung einer neuen Welt in sich trägt – in der Bibel die Verheißung des Reichs Gottes. Wobei Vorstellungen von Apokalypse in Variationen auch in anderen Religionen zu finden sind, wie etwa in Judentum, Islam oder Buddhismus. Und dass die Coronakrise apokalyptisches Potenzial birgt, scheint sich im Hinblick auf die vielfach ineinander verzahnten weltweiten Krisen immer deutlicher abzuzeichnen. Exemplarisch sei hier auf die ökologische, die Finanz- und Wirtschaftskrise, die alles andere als überwunden ist, verwiesen, oder die sozialen Krisen um Gesundheits- und Erziehungswesen, Hungerkrisen in vielen afrikanischen Ländern. Corona indessen hat die Lage zugespitzt und präsentiert es uns nun wie durch ein Vergrößerungsglas: Alles hängt mit allem zusammen und kann nur mit einer gewaltigen Anstrengung der Menschheit als Ganzes, jenseits nationaler Grenzen, überwunden werden. Neue Konzepte, basierend auf dem Bewusstsein, dass wir diese Herausforderungen nur stemmen können, wenn wir kooperieren, liegen vielfach vor. „Bedingungsloses Grundeinkommen“ eines davon; „Finanzwende.de“, „Gemeinwohlwirtschaft“, „Bruttosozialglück“ weitere. Aus den USA wiederum stammt der Ansatz „Green-Stimulus“ mit genauen Berechnungen, wie die Massen an Geld, die nun weltweit verteilt werden, dazu zu nutzen wären, eine gerechtere ökologische Wirtschaft und Gesellschaft auf den Weg zu bringen. Auch wenn derzeit die Beharrungskräfte im Ringen des Alten mit dem Neuen gewaltig sein mögen – die Krise schärft den Blick für das Potenzial des Neuen. Denn, so Friedman weiter, „hängen die Reaktionen darauf von den Ideen ab, die verfügbar sind“. So gesehen, gibt es allen Grund zur Hoffnung, dass das politisch bislang Unmögliche sich am Ende als unausweichlich erweisen mag. Nehmen wir also ein jeder seinen Platz ein in diesem Prozess. Viele haben sich den Wandel gewünscht, nun ist er da, wir mitten darin. Geben wir unser Bestes. Nehmen wir uns die Freiheit, die Welt neu zu denken! 

* Georg Diez; „Corona. Das Neue ist längst da“, ZEIT ONLINE, 10.04.2020

© Hartmut Fanger schreibfertig.com:

Bastian Berbner: „Hundertachtzig Grad -

Geschichten gegen den Hass“, Verlag C.H.

Beck, München 2019

Wie sich Vorurteile oder festgefahrene Meinungen grundlegend verändern, Dinge auch ganz anders gesehen werden können, demonstriert Bastian Berbner in seinem überaus brisanten und lesenswerten Buch „Hundertachtzig Grad – Geschichten gegen den Hass“. Mit wissenschaftlicher Akribie zeigt der Egon-Erwin-Kisch-Preisträger für die beste Reportage des Jahres 2019, ZEIT-Redakteur und Journalist dabei in acht Kapiteln auf 208 Seiten auf, dass es zum Beispiel keinen Zweck hätte, jemandem zu sagen, er liege falsch, sondern dass man dies spür- und erlebbar machen müsse. 

Und es gelingt ihm anhand zahlreicher Beispiele, in eloquentem Erzählstil deutlich zu machen, wie und in welcher Konstellation es möglich sei, Brücken zu bauen, Gräben zu überwinden und Risse in der Gesellschaft zu kitten. Dabei greift er durchaus auch auf historische Begebenheiten zurück, wie zum Beispiel der Moment im Zweiten Weltkrieg, wo weiße amerikanische Soldaten während der Schlacht um Remagen feststellten, dass es gerade schwarze Kameraden waren, die ihnen gegen Nazi-Deutschland geholfen hätten, die Seite an Seite mit ihnen kämpften, und dies, obwohl zu der Zeit verstärkt Rassenhass in den USA vorherrschte.   

Vorurteile sind gewiss für keinen leicht zu überwinden. Nicht ungefährlich, wenn dies aktuell von Rechtspopulisten wie Trump, Le Pen, Johnson oder Orbán noch angeheizt würde und das Klima innerhalb einer ganzen Gesellschaft vergifte. Umso wichtiger, dorthin zu gehen, wo das Problem an der Wurzel zu packen ist, nämlich dort, wo Vorurteile meist schon in der Kindheit angelegt seien. Nachzuvollziehen etwa anhand des Beispiels des mittlerweile über siebzigjährigen Harald Hermes’, dem von früh an eingeimpft wurde, dass ‚Zigeuner blonde Kinder klauen, den Deutschen Krempel andrehen’ und ‚sich in der Eckkneipe prügeln’.

Als dann in den letzten Jahren verstärkt Roma nach Deutschland gelangten, wollte er dies nicht zulassen und wehrte sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Eine Kehrtwende erfuhr seine Einstellung erst, als bei ihm eine Roma-Familie einzog, er sie persönlich kennenlernte und von ihren Nöten erfuhr. 

Und dieses persönliche Kennenlernen erweist sich immer mehr als ein Geheimrezept. Scheinbar unversöhnliche Gegensätze lösen sich aufgrund von Begegnungen auf. So darf Berbner am Ende ein bemerkenswertes Fazit ziehen, worin er weitere Beispiele anführt. So etwa, dass der Schwulenhasser Finbarr O’Brien seine Meinung ändert, nachdem er den Schwulen Chris Lyons getroffen hat, ein Wismarer Punker zu prügeln aufhört, als ihm von einem Neo-Nazi der Rucksack durch die Wüste getragen wird. „All diese Menschen“, so Berbner, „mussten selbst sehen, mussten fühlen, wie sich ihr Bild von der Realität vor ihren Augen wandelte.“

In dieser Zeit ein umso wichtigeres Buch, zugleich Plädoyer für einen versöhnlichen Umgang unter zunehmend sich zu polarisieren drohenden Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft.

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem C.H. Beck-Verlag!

© Erna R. Fanger schreibfertig.com

Feiern statt Fakten –  ERDFEST. EINE INITIATIVE

 

Mit der Erdfest-Bewegung erschließt sich ein neuer, innovativer Zugang zur ökologischen Wende. ERDFEST, das heißt drei Tage im Frühsommer wird gefeiert. 2019 vom 21. bis 23. Juni, 2020 vom 19. bis zum 23. Juni. Ortsunabhängig und autonom. Jeder kann ein ERDFEST initiieren. Wo immer er wohnt oder sich gerade aufhält. Erwiesen hat sich, das menschliche Bewusstsein reagiert nicht auf Fakten, die ja längst auf dem Tisch liegen, ohne dass dies entsprechende Konsequenzen nach sich zöge. Fakten berühren nicht. Und um Menschen zum Umdenken zu bewegen, bedarf es eines emotionalen Triggers. Auch Harald Welzer hat dies erkannt und plädiert, statt lediglich Fakten um Fakten nachzulegen, für Bilder einer besseren Zukunft. Eben das leistet die Erdfest-Initiative, 2017 von der Nachhaltigkeitsforscherin Hildegard Kurt und dem Biologen und Philosophen Andreas Weber ins Leben gerufen und 2019 ausgezeichnet im Rahmen der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Unterstützt übrigens von Institutionen wie Club of Rome, Ökumenische Initiative Eine Welt, Demeter Verband oder Zukunftsstiftung Landwirtschaft der GLS-Treuhand, um nur einige wenige zu nennen. Die grundlegende Idee dahinter: ERDFEST wirkt mit der Vernetzung von Menschen und Initiativen dem Zusammenbruch des ökologischen Netzes mit den bekannten Folgen des Artensterbens und Einbuße biologischer Vielfalt entgegen. Ziel ist, Umweltschutz und ökologische Handlungsmuster im Bewusstsein des Einzelnen zu verankern. Ist sich doch nach den seit 2009 im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz (BfN) durchgeführten „Naturbewusstseinsstudien“ nur jeder 4. Deutsche der Dringlichkeit des Anliegens bewusst. In diesem Sinn hat sich das BfN auf die Fahnen geschrieben, die Kommunikation von Naturbewusstsein voranzutreiben. Hieran knüpft die ERFEST-Initiative, indem sie neben Faktenwissen einen Beitrag zu unmittelbarem Erfahrungswissen leisten will, emotional eingebunden in einer lebendigen Beziehung zur Natur. Beziehungsfähigkeit zu Mit- und Umwelt bewirkt dabei eine konkret erlebbare Wechselwirkung. Dies wiederum eröffnet eine neue Sicht auf die Dinge und so die Ausrichtung hin zu innovativen, gemeinschaftlich umzusetzenden HandlungsstrategienDabei plädiert ERDFEST für das Feiern der Erde im Sinne eines achtsamen Umgangs mit ihren Ressourcen, um die man sich gemeinsam kümmert. Mitmachen kann jeder: mail@erdfest.org. 

 

Voices for FUTURES!  Juni 2019

© Hartmut Fanger schreibfertig.com:

Nicht nur Fridays for Future

 

Jean Ziegler: „Was ist so schlimm am Kapitalismus – Antworten auf die Fragen meiner Enkelin“, C. Bertelmann Verlag. München 2019 

 

In seinem neuesten Buch stellt sich der 1934 geborene Schweizer Soziologe und Politiker den Fragen seiner Enkelin, die sich als äußerst brisant erweisen. Dabei wird deutlich, dass der Kapitalismus  in all unseren Lebensfragen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Jeder ist davon betroffen, egal, wo er auf diesem Planeten lebt. Dementsprechend komplex ist die Problematik. Zunächst werden hier jedoch die Basics vermittelt, erklärt, wie der Kapitalismus entstanden ist, woher etwa die Wörter ‚Kapitalismus’, ‚Feudalismus’, ‚Marxismus’, ‚Mehrwert’, ‚Monopolisierung’, ‚Multinationalisierung’ und ‚Finanzkapital’ überhaupt kommen und welche Bedeutung diesen jeweils zugemessen wird.

Was zunächst noch abstrakt anmutet, veranschaulichen dann, eindringlich und konkret, aktuelle Beispiele. So beispielsweise die Frage, warum Kinder an Hunger sterben müssen. Angesichts der Tatsache, dass ‚alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren’ an Hunger zugrundegeht, eine  schockierende Feststellung. Noch schockierender zu erfahren, dass der Hunger ‚von Menschen gemacht ist’, obwohl de facto weltweit ‚problemlos 12 Milliarden Menschen ernährt werden könnten’. Allein weiß dies bislang der Kapitalismus mit seinem Hang zu Monopolisierung und Multinationalisierung erfolgreich zu verhindern. Mit der Folge, dass Armut und Ungerechtigkeit sich ungehindert weiter ausbreiten können. Nicht nur für Kinder, wie die Enkelin des Autors, nahezu unvorstellbar. 

Nahezu unvorstellbar auch, dass laut Ziegler die Kapitalisten im Begriff sind, unseren Planeten zu zerstören. Ein Buch, das folglich nicht nur der Fridays for Future Bewegung genügend Material in punkto Klimaschutz liefert. Zumal deutlich gemacht wird, dass die Umweltschäden, wie etwa die Zerstörung der  Tropenwälder, ‚auf das Konto des multinationalen Finanzkapitals gehen’. Sei es unter anderem verunreinigte Luft, verschmutztes Wasser, vergiftete Nahrung sowie der Einsatz von Glyphosat. Und Ziegler spart dabei nicht mit Zahlen. So beispielsweise, wenn aufgrund der ‚Erweiterung extensiver Rinderhaltung jährlich viele Tausend Hektar Urwald verbrennt’, wissenschaftlich erwiesen ist, dass davon ‚seit 1992 im Amazonasbecken mehr als 530.000 Quadratkilometer vernichtet wurden’. Von der Tatsache, dass nach einem Forschungsergebnis von 2017 die Zahl der Insekten ‚um mehr als 80 Prozent zurückgegangen ist’, ganz zu schweigen. Insbesondere das Bienensterben wird für uns alle zu einem Problem. Ziegler ist fest davon überzeugt, dass ‚die Hauptschuld die Methoden der kapitalistischen Agrarproduktion haben, die Pestizide, die Ausrichtung auf Maximalprofit, die tödlichen Mengen Kunstdünger, die auf die Anbauflächen ausgebracht werden.’ 

Doch welche Lösungen zeigt er auf? Ziegler greift in diesem Zusammenhang auf die Lehre von Karl Marx zurück, zitiert ihn aus einem Brief, wonach ein ‚Revolutionär imstande sein muss, das Gras wachsen zu hören’. Zudem ist er der Auffassung, dass in uns allen viel Kraft schlummert’. Dass wir uns wehren sollten, und zwar mit ‚der vernunftbestimmten Weigerung eines jeden, auf Dauer eine Welt zu akzeptieren, in der die Verzweiflung, der Hunger, das Elend, die Leiden und die Ausbeutung der Mehrheit die Basis für das relative Wohlergehen einer überwiegend weißen und in Unkenntnis ihrer Privilegien lebenden Minderheit bilden’. 

Sich auf Immanuel Kant berufend, geht es für ihn darum, den ‚moralischen Imperativ’ in uns wachzurufen, den Widerstand zu mobilisieren, den Kampf zu organisieren’, die ‚Unmenschlichkeit’ zu besiegen. Und er zeigt diesbezüglich auf, dass er dabei nicht allein ist, verweist auf  die ‚weltweite Zivilgesellschaft’, die u.a. von ‚unterschiedlichen sozialen Bewegungen, wie Greenpeace, Amnesty International, oder Attac repräsentiert’ wird, die gegen die ‚kannibalistische Weltordnung des Kapitalismus Widerstand leisten. 

Wobei er überzeugt ist, dass die künftige Generation den Kapitalismus stürzen wird. Fridays For Future - völlig überraschend - mit dem weltweiten Protest von Schülern und Studierenden gegen die Zerstörung des Planeten hat hier ein Hoffnung stiftendes Zeichen gesetzt.  

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem

C. Bertelsmann  Verlag!

April 2019-Juni 2019     

© Hartmut Fanger schreibfertig.com:                                           

Zukunft im Konjunktiv der Möglichkeiten

Harald Welzer: „Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“.  SFischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2019

Wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten der Mensch im Zuge seiner enormen Errungenschaften zur Verfügung hat, kann einem schwindelig werden. Es ist nahezu alles vorhanden, was man benötigt, um die Zukunft in die Hand zu nehmen und umzugestalten, Fehler aus der Vergangenheit auszuräumen oder zumindest dahingehend zu korrigieren, dass alle ihren Platz in der Welt einnehmen und ausfüllen können. Von der Umweltpolitik im Allgemeinen über die Digitalisierug bis hin zum Klimawandel im Besonderen. Natur ist restaurierbar. Beispiele im Rahmen umfangreicher Renaturierungsprojekte beweisen dies eindrücklich und bräuchten nur weiter ausgebaut werden. Für Harald Welzer ist dies eine Frage der Entscheidung. Fest steht jedenfalls – und dies scheint mit eine der größten Herausforderungen zu sein –, dass das Ende der natürlichen Ressourcen zugleich das Ende der Demokratie bedeutet. 

Doch Natur ist nicht der einzige Faktor, der ‚wiedergutgemacht’ werden kann. Nach Welzer gilt dies auch für grundlegend gesellschaftstragende Säulen wie Wirtschaft, Arbeit, Schule, Solidarität, Mobilität, Gemeinwohl, um nur einige zu nennen. „Alles könnte anders sein“. 

Anschaulich zeigt er mit Hilfe von im übertragenden Sinne 17 ‚Legosteinen’ auf, wievieles möglich zu erschaffen, sprich ‚zu erbauen’ wäre, wovon wir im Moment noch träumen mögen. Und er ist damit nicht allein. So zitiert er keinen geringeren als Papst Franziskus, der für eine ‚gerechte Wirtschaft’ plädiert, ‚die Bedingungen dafür schaffen muss, dass jeder Mensch eine Kindheit ohne Entbehrungen genießen, während seiner Jugend seine Talente entfalten’, später ‚einer rechtlich gesicherten Arbeit nachgehen und im Alter zu einer würdigen Rente gelangen kann’. Und er spricht sich für ein Wirtschaftssystem von Produktion und Distribution aus, das den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Einzelnen einen angemessenen Rahmen im Gemeinwesen bietet. Ebenso wie er postuliert, dass der Mensch im Einklang mit der Natur lebt. Was die Rente anbelangt, scheinen Welzer die Ausführungen von Papst Franziskus allerdings noch nicht ‚visionär genug’, zudem ergänzt er dessen Forderungskatalog um „[d]as Recht, einen Orthaben zu dürfen, an dem man selbstverständlich leben und von dem aus man sich bewegen, den man verlassen kann.“ Und er fügt noch hinzu, ‚dass es zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten Eigenzeit braucht, ebenso wie ein gesichertes Einkommen, die entsprechende Infrastruktur und Institutionen, die so ein Zusammenleben vieler regeln und den Einzelnen dabei unterstützen, seine Rechte gewährleisten, und zwar unabhängig von Vermögen, Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion ...’ Zugleich redet er der pluralistischen Gesellschaft das Wort, kann sich ein friedliches Nebeneinander von unterschiedlichen Gesellschaftsformen vorstellen, die sich eben nicht voneinander abschotten, sondern im gegenseitigen Austausch voneinander profitieren.

Anstatt des Begriffs der Utopie setzt Welzer auf „Heterotopie – viele Orte, viele Geschichten“, wovon er ganz pragmatisch die vielleicht entscheidendsten vor Augen führt. Beispielsweise, wenn er sich vorstellt, wie es wäre, wenn die Schulkinder von Berlin nicht mehr mit privaten Autos zur Schule gebracht würden, stattdessen einen von der Stadt eingerichteten Busservice nutzten, was zugleich ‚zu praktizierter Gleichheit, Entlastung der finanziellen Mittel der Eltern, mehr Sicherheit, weniger Schadstoffbelastung und Treibstoffverbrauch’ führen könnte. Oder die Vorstellung, dass der Fahrradverkehr in Kopenhagen den Autoverkehr gänzlich aus der Stadt zurückdrängen würde. Wie Welzer überhaupt für das Projekt einer ‚autofreien Stadt’ steht. Dabei ist er fest davon überzeugt, dass Veränderungen nur in die Welt kommen, indem man sie anschauen, sie anfassen können muss, und dass dies dann auch funktioniert. Sprich konkrete (Vor)Bilder inspirieren kreative Lösungen!

Letztendlich bedarf es nach Welzer keines Aufwands, der nicht zu stemmen wäre, um Altes in Besseres zu verwandeln, als vielmehr der Phantasie. Phantasie, um eine Zukunft zu erschaffen, wo jeder über ein Grundeinkommen verfügt, in Schulen nicht ausschließlich Fakten, sondern vor allem gemeinnützige Kompetenz vermittelt wird – zukunftsträchtig insbesondere, wenn im Zuge von Digitalisierung Arbeit völlig neu gedacht werden muss, weil es sie im herkömmlichen Sinne etwa einer 40-Stunden-Woche so nicht mehr geben wird.

Ein Buch, das jeden, der die drängenden Zeichen der Zeit erkannt hat, beflügelt!

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem S. Fischer  Verlag!

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März 2019

© Erna R. Fanger: www.schreibfertig.com

Voice for FUTURE

Kleinefeine Schreibschule für Jung & Alt                                                                                                                            © Erna R. Fanger schreibfertig.com:

Patch-Work-Family der Querdenker – Harald Welzers 60ster – die Lektüre zwischen den Jahren

„Welzers Welt. Störungen im Betriebsablauf“. Herausgegeben von Dana Giesecke, Hans-Georg Soeffner und Klaus Wiegand,Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2018

 

Hätte Luther angesichts der hier versammelten Autoren und ihrer Beiträge von „Sand im Getriebe“ gesprochen, kommt einem heute der Sprachduktus übermächtiger Alltagsslogans in den Sinn, wie jedem Nutzer der Bahn nur allzu bekannt: ‚Störungen im Betriebsablauf’. In dem Band versammelt ist ein buntes Spektrum an 86 Persönlichkeiten, Vertretern aus Medien, Kunst und Wissenschaft, die auf 480 Seiten ein wahres Füllhorn unterschiedlichster Sichtweisen präsentieren. Darunter Prominenz von Aleida Assmann, Kirsten Fehrs über Reinhard Kahl, Robert Habeck, Richard David Precht, Klaus Töpfer, IIija Trojanov, Gero von Randow bis Daniel Levy und Katja Riemann. Allesamt eint sie eines: Sie bewegen sich jenseits des Mainstreams. Und wo der politische Diskurs nicht selten ‚Alternativlosigkeit’ suggeriert, hören die Mitstreiter von „Welzers Welt“ nicht auf, eben diese aufzubrechen und Alternativen ins Spiel zu bringen. Von denen könnte man durchaus zu träumen wagen, ja man wird im Zuge der Lektüre dazu regelrecht angestiftet. Weshalb sie gerade zwischen den Jahren zu empfehlen ist: Werden diese Autoren doch angesichts des von vielen als desaströs empfundenen Zustands der Welt, gemessen an ihren Möglichkeiten, ein guter Ort zum Leben für alle zu sein, nicht müde, künftige Horizonte zu entwerfen, oder aber, den Finger auf die Wunde zu legen. 

So etwa Barbara Vinken in ihrem Beitrag „Erinnerungkultur“, dessen erster Satz „Das Buch trifft einen wie ein Beil“ lautet. Gemeint ist „Der Reisende“ von dem damals 23 Jahre alten Autor Ulrich Alexander Boschwitz. Erstmals 1939 in England erschienen, hat es bis 2018 gebraucht, das Werk dem deutschsprachigen Publikum zugängig zu machen. Es ist die Geschichte des angesehenen Berliner Kaufmanns „Silbermann“, der von den Nazis perfide verfolgt und gedemütigt wird, sich auf aussichtloser Flucht befindet. Der Leser hingegen wird hautnah Zeuge, wie zivilgesellschaftliche Vereinbarungen zugunsten roher Barbarei zusammenbrechen. Das Buch dürfte sich bei jedem, der es gelesen hat, unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt und den Blick für heutige hässliche Schieflagen, wie etwa die europäische Flüchtlingspolitik, geschärft haben. Das Fazit Vinkens ist bitter. Erfüllt sich doch augenscheinlich in unserer unmittelbaren Gegenwart, vor unser aller Augen, die Hoffnung der Figur des so skrupel- wie schamlosen Nazis Becker: Europa ist deutsch geworden. Zumindest gemessen an seiner Flüchtlingspolitik. Deutsch im Sinne der Ideologie des Dritten Reichs. Im Gegensatz, wie von den jüdischen Mitbürgern einst postuliert, Deutschland müsse europäisch werden. Ein Beitrag, der aufrüttelt, Position bezieht und einmal mehr vor Augen führt, wie klein der Schritt von der Demokratie hin in die Barbarei – mitten unter uns – ist. 

Ilija Trojanow hingegen verrät uns, inwieweit seine eigenen den Büchern Welzers entscheidende Impulse zu verdanken haben. Bischöfin Fehrs wiederum bringt in ihrer differenzierten Auseinandersetzung mit der Person Luthers den Reformationsgedanken mit dem Anliegen Welzers der sozialen und kulturellen Transformation in Verbindung. Aleida Assmann erläutert das integrierte Konzept der Nachhaltigkeit, sich stützend auf die Trias Ökologie, Ökonomie und Soziales, und wirft die Frage auf, welche Rolle der Kultur dabei zukomme. Aber auch Briefe an Welzer, wie von Daniel Levy aus New York, der aus seiner Wertschätzung des Ausnahmewissenschaftlers und Soziologen keinen Hehl macht und mit ihm „Kibitzing“ praktizieren will, sprich sich die Dinge von außen anzuschauen und sich dann ungefragt einzumischen. Oder der von Katja Riemann, die – noch unter dem Eindruck ihrer Konzerttour mit dem Jazzgitarristen Arne Jansen – in ihrem erfrischenden Beitrag mit Bezügen zwischen Philosophie und Musik, Religion, Gospel  und  Blues überrascht. Wie überhaupt das Gedankengebäude der Welzer-Gemeinde von der ‚Trinität sarkastisch abgeklärter Aufklärung’ durchdrungen scheint, nämlich: „Vater Immanuel Kant, Stiefsohn Friedrich Nietzsche und sperriger Geist Karl Valentin“, so im Vorwort der Herausgeber nachzulesen. 

‚Störungen im Betriebsablauf’ sind lästig, gerade wenn sie an der Tagesordnung sind. Und den Finger auf die Wunde zu legen, tut weh. Beides ist jedoch unumgänglich, um daraus zu Geschichten des Gelingens mit praktikablen Lösungsansätzen ebenso wie inspirierenden Utopien im Welzerschen Sinne zu gelangen: „Am Untergang ist er nicht interessiert: Bei allem, was scharf kritisiert werden muss – letztlich droht doch immer Hoffnung“, so die Herausgeber.

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Fischer Taschenbuch Verlag!

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September - November 2018

Kreatives Schreiben FuturJetzt
Schreibschule

© Erna R. Fanger: www.schreibfertig.com

Stella Deetjen – ein Porträt

Gründerin des Vereins „Back to Life e. V. 

– Hilfe zur Selbsthilfe in Nepal und Indien

 Als Stella Deetjen zu Beginn der 90er Jahre mit Anfang 20 als Rucksacktouristin nach Indien, Benares, der Stadt des Lichts, aufbricht, hinter sich die Schauspielschule, vor sich einen Studienplatz für Fotografie in Rom, ahnt sie nicht, dass diese Reise ihr Leben grundlegend verändern wird. Genau genommen die Begegnung mit einem Leprakranken, der sie von starken Bauchschmerzen und Übelkeit durch eine Berührung mit seinen Krallenhänden befreit. Einer der „Unberührbaren“, wie die leprakranken Bettler in Indien bezeichnet werden. Durch die Krankheit entstellt, an den Rand gedrängt, will keiner mit ihnen zu tun haben. Als Stella Deetjen sich tags darauf mit Geschenken bedanken will und nach dem Namen ihres Helfers fragt, ist sie im Nu von verstümmelten Kranken umringt, die nicht fassen können, dass man ihnen so viel Aufmerksamkeit schenkt. Für sie „ein Alptraum am hellen Tag“*. Wer „Papillon“ gesehen hat, weiß, wovon sie spricht. Aber sie verbirgt ihr Entsetzen, bleibt in Kontakt mit den Ausgestoßenen, hilft, wo sie kann. Bis sie miterleben muss, wie die Kranken kurzerhand abtransportiert werden, um sie hinter Gitter zu setzen. Stella Deetjen jedoch schlägt Alarm, zunächst ohne sich Gehör verschaffen zu können. Bis ein Zeitungsinterview mit ihr für öffentlichen Druck sorgt und die Bettler nach drei Monaten freigelassen werden. Diese Zeit nutzt Stella Deetjen und gründet mit 100 Dollar und der Hilfe einer Krankenschwester eine Straßenklinik für Leprakranke und ihre Kinder. Erstmals bekommen die Kranken Zugang zu Medikamenten und Hilfsmitteln, wie z. B. Prothesen oder Rollstühlen. Nach zwei Jahren sind 60 Patienten geheilt. Doch dies ist nur der Anfang, zugleich Grundstein für den 1996 gegründeten Verein „Back to Life e. V., dem sich seither auch Straßenkinder angeschlossen haben. 

Bis heute haben sich diese Anfänge zu einer Hilfsorganisation von beachtlicher Reichweite ausgebaut. Wirksam setzt Stella Deetjen sich dabei nicht zuletzt mit gewinnendem Charme und Charisma in deutschenTalk-Shows und öffentlichen Medien dafür ein, dem auf Hilfe zur Selbsthilfe basierenden Projekt Publicity zu verschaffen und durch Spendenaufrufe und Patenschaften Unterstützung zu erhalten. Mit zusätzlicher Hilfe einer indischen Partnerorganisation sind so in Benares drei Kinderheime und 13 Slumschulen entstanden. Letztere zeichnen sich durch Berücksichtigung der Gepflogenheiten von Slumkindern aus, folgen keinem strikten Regelwerk, sondern basieren auf non-formalen Bildungskonzepten. Seit 2009 kommt Nepal in den Wirkungskreis von back to life hinzu. Dort sind in der mittelalterlichen Gebirgsregion Mugu seither bereits sieben Schulen errichtet worden sowie vier Geburtshäuser. Ohne die Geburtshäuser wäre die Kindersterblichkeit und die der Mütter im Zuge der Geburt immens. Im Distrikt Chitwan wiederum werden gezielt benachteiligte Mädchen unterstützt, indem man ihnen etwa den Schulbesuch ermöglicht. Die gesamte Bevölkerung des Projektgebietes erhält neben medizinischer Versorgung spezielles Training und Förderung zur Selbsthilfe. Eine besondere Herausforderung war das schwere Erdbeben in Nepal 2015, wo der Verein auch Soforthilfe leistete und sich um den Wiederaufbau von bis zu zehn Schulen zu kümmern hatte. 

Aktuell, am 24. August 2018, wird der „Childs Club“ im Distrikt Chitwan gemeldet, eines der Bildungsangebote für Kinder, die sich der Verein auf die Fahnen geschrieben hat, wo außerschulisches Lernen praktiziert wird, wie zum Beispiel Bewusstsein für Umweltschutz zu schaffen. ‚Last but not least, große Freude: Am 10. August 2018 hat „Jubiläumsbaby“ Rahul, das 750. „Back to life-Baby“, das Licht der Welt erblickt!       

*Tara Stella Deetjen: „Unberührbar. Mein Leben unter den Bettlern von Benares“, Frankfurt/M 2016

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Juli - August 2018

© Hartmut Fanger www.schreibfertig.com:

Digitaler Fortschritt im Kreuzfeuer der Kritik 

Michael Steinbrecher & Günther Rager [HG.] Wenn Maschinen Meinung machen. Journalismuskrise, Social Bots und der Angriff auf die Demokratie, Westend Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2018.

In dieser Anthologie packen der bekannte Fernsehjournalist Michael Steinbrecher und Günther Rager, Professor für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund, ein heißes Eisen an. Zu einem bis dahin nie gekannten digitalen Fortschritt und, damit einhergehend, einer rasant sich verändernden Gesellschaft lassen sie 15 Master-Studierende am Institut für Journalistik in Dortmund zu Wort kommen. 15 angehende Journalisten, geboren um die 90er Jahre, äußern sich zu all dem, was uns in den Medien derzeit bewegt, stellen brisante Fragen und suchen nach Lösungen. 

Bereits der Titel „Wenn Maschinen Meinung machen“ zeigt auf, welchen Gefahren unsere Gesellschaft ausgesetzt ist. Von Wahlmanipulation, „Privatsphäre im Netz“, „Big Data im öffentlichen Diskurs“, Fake News und künstlicher Intelligenz ist u.a. die Rede. Dazu präsentieren uns Steinbrecher und Rager in ihrem Vorwort anschauliche Beispiele. Sei es, wenn der 1,50 Meter große Roboter Pepper mit den Besuchern des Londoner Science Museum kommuniziert, will heißen, dass er nicht nur sprechen, die Augen schließen und jedem Besucher die Hand schütteln, sondern auch Anweisungen geben kann. Oder wie moderne Methoden zur Analyse eines Fußballspiels allzu leicht auf unsere Arbeitswelt angewendet werden können, was nicht unbedingt zum Vorteil des Arbeitnehmers gereicht. 

Wie ein Krimi lesen sich dann die Ausführungen der Studierenden mit dem Unterschied, dass diese eins zu eins der Wirklichkeit entsprechen. So  ist natürlich die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten Thema, wenn von Fake News die Rede ist, womit Hillary Clinton am Ende ausgebootet wurde. Nur ein Beispiel dafür, wie allein aufgrund digitaler Einflussahme demokratische Verhältnisse ausgehebelt werden können. Spannend überdies, wenn bei der ‚Suchworteingabe uns das Ziel schlichtweg wichtiger als der Weg erscheint’, obwohl wir genau wissen, dass die Privatsphäre damit preisgegeben wird, Google die Daten abgreift und nutzt. Ein Vergleich zwischen der Taktik der Suchmaschine mit  der des ‚trojanischen Pferdes’ liegt nahe. Wofür und in welchem Umfang die Daten genutzt werden, wird so verschleiert. Klar ist nur, dass sie in die Big Data eingehen, was wiederum an die Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams erinnern mag. Im Rahmen dieser Parodie sollte der ‚übermächtige Computer Deep Tought’ bereits in den 70-er Jahren die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ beantworten.  

Wie schon der Untertitel verrät, wird vor allem aber auch die Krise des Journalismus anhand differenzierter Hintergrundinformationen vermittelt. Von den Massenmedien, wie das Fernsehen, bis hin zu den Tageszeitungen. 

Den traditionellen Printmedien und Unterhaltungssendern fehlt angesichts des Internets die nötige Zugkraft. Die Folge: Große Einbußen an Zuschauerzahlen und in der Leserschaft. Beklagt werden das große “Zeitungssterben“, Pleiten und die damit verbundenen massenhaften Entlassungen von Redaktionsmitarbeitern. Umso mehr lässt aufhorchen, dass sich die 15 Autoren dieses Bandes nichtsdestotrotz für ein Journalistikstudium entschlossen haben. Inwieweit es bei der ‚Studien- und Berufswahl Zweifel’ gegeben haben mag, vielleicht sogar ‚Resignation, Zukunftsängste’, macht ein ‚unbezwingbarer Pionier- und Kampfgeist’ wett. Und während die alten Medien dabei sind, sich nach und nach zu verabschieden, ist beispielsweise „Hashtag-Journalismus für alle, die im Internet zu Hause sind“, angesagt, der vornehmlich die „Generation Selfie“ anspricht. Für den Lokaljournalismus bedeutet dies künftig nicht zuletzt Mut zum Experimentieren, „überraschendere Wege zu gehen“ und wieder ‚überzeugt von den Produkten’ zu sein, was sich dann auch auf die Rezipienten auswirken wird. Es gilt aber auch, Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen und zu bewahren, sich mit Hilfe umfangreicher Faktenchecks gegen den ungeliebten Begriff „Lügenpresse“ zu verwahren. 

Allen, die sich im Zeitalter des digitalen Fortschritts zurechtfinden, sich ein Bild davon machen wollen, was für Möglichkeiten es auf diesem Gebiet gibt, aber auch, welche Gefahren darin lauern und wie es dabei um den Journalismus bestellt ist, können wir dieses Buch nur empfehlen. 

 

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl

 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Westend- Verlag!

 

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"Digitaler Fortschritt im Kreuzfeuer der Kritik"
Michael Steinbrecher & Günther Rager [HG.] „Wenn Maschinen Meinung machen. Journalismuskrise, Social Bots und der Angriff auf die Demokratie“, Westend Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2018.
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März - Juni 2018

„Glück ist machbar“ 

   Glück ist ein Politikum!

© Erna R. Fanger

 Die Zeit kommt, in der sich die Menschen auf ihre moralische Stärke besinnen. Dann verlieren sie ihre Angst und stützen sich gegenseitig mit ihrer Hoffnung

Wangari Maathai anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises. Oslo, Dezember2004

Dr. Ha Vinh Tho: „Grundrecht auf Glück. Bhutans Vorbild für ein gelingendes Miteinander. Aufgezeichnet von Gerd Pfitzenmaier, nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart 2017

1951 väterlicherseits als Spross eines alten Adelsgeschlechts aus Zentral-Vietnam geboren, dessen Familie mit der kaiserlichen Nguyen-Dynastie verwandt war, seine Mutter wiederum Französin, aus einfacher Arbeiterfamilie stammend, bezeichnet Ha Vinh Tho sich selbst als „Wanderer zwischen den Welten“. Was sich gleichwohl der Tätigkeit seines Vaters als Diplomat verdankt, weshalb die Familie in verschiedenen Ländern lebte. Außerordentlich breit gefächert sein Erfahrungsspektrum: von der 68-er- zur Hippiebewegung, über eine Pilgerreise zum Himalaya, wo er mit dem Tibetischen Buddhismus in Berührung kommt. Dann das Studium am Schweizer Goetheanum, geprägt vom Geist der Anthroposophie Rudolf Steiners, wo er christliche Religion eingehend studiert. Nach dem Studium kurze Zeit Waldorflehrer in Deutschland, widmet er sich in der gleichwohl anthroposophisch orientierten Camphill-Gemeinschaft in der Schweiz, wo er mit seiner Frau und den beiden Kindern ohne persönliches Eigentum lebt, der Heilpädagogik in der Behindertenarbeit. 1982, seit dem Ende des Vietnamkrieges erstmals wieder in Vietnam, folgt die für ihn maßgebliche Begegnung mit Thich Nhat Hanh, dem bekannten vietnamesischen Mönch, Lyriker und Achtsamkeitslehrer: „Diese Begegnung veränderte mein Leben. Ich hatte das Gefühl, spirituell zu Hause angekommen zu sein.“ Nach seiner Tätigkeit als Ausbilder in der Heilpädagogik an verschiedenen europäischen Universitäten wechselt er noch einmal das Berufsfeld und wird Leiter des Ausbildungsdepartments des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), im Zuge dessen er Krisen- und Kriegsgebiete auf dem ganzen Globus bereist. Inzwischen ist ihm klar geworden, dass, so unterschiedlich die militärischen Auseinandersetzungen und Auswirkungen von Naturkatastrophen sein mögen, die Wurzel des Übels woanders liegt. Und zwar in der strukturellen Gewalt.

... einer Gewalt, die – um es nur mit einem Beispiel zu verdeutlichen – zulässt, dass Millionen Menschen auf der Erde verhungern, obwohl wir als Menschheit noch nie so reich und satt waren, wie wir es heute in vielen Regionen und Gesellschaften auf der Erde sind.

Immer dringlicher stellt sich für ihn die Frage, wie die Ursachen der strukturellen Gewalt und, damit einhergehend, der strukturellen Ungerechtigkeit, zu beseitigen wären. Bedingt nicht zuletzt durch die Tatsache, dass weltweit der Einfluss von Regierungen zusehends schwindet – zugunsten des Wirtschaftsdiktats multinationaler Konzerne, deren alleinigem Ziel der Gewinnmaximierung alles andere subsumiert wird. Die Folgen sind so komplex wie gravierend: neben der drastisch zunehmenden Spaltung in Reich und Arm, Verarmung immer größerer Teile der Weltbevölkerung, skrupelloser Umgang mit Ressourcen mit dramatischen Auswirkungen, sei es auf Klimawandel, schwindende Artenvielfalt und, damit einhergehend, Klimakatastrophen und Territorialkriege. Antworten auf das ihn bedrängende Anliegen kommen ausgerechnet von einem der ärmsten Länder, dem Himalaya-Staat Bhutan. Geht von dort doch der Impuls aus, der Welt einen neuen Maßstab ans Herz zu legen, der sich nicht an Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt orientiert, sondern am Glück seiner Bevölkerung.

Davon ausgehend, dass er seine Arbeit im IKRK bis zu seiner Pensionierung betreibe, erreicht ihn Ende 2011, zu einem Zeitpunkt, wo dort Management-Methoden eingeführt werden sollten, was ihm weniger behagt, unerwartet eine E-Mail mit einem Stellenangebot als Programmdirektor im neu gegründeten „Gross National Happiness Centre“ (Zentrum für Bruttosozialglück) in Buthan. Damit sind die Weichen für eine erneute Wende gestellt. Und am 2. April 2012 ist er in seiner Eigenschaft als Programmdirektor dabei, wenn in New York die Uno den 20. März fortan als Internationalen Tag des Glücks ausruft, Ban Ki Moon ein neues Wirtschaftssystem postuliert, in dem ‚soziales, wirtschaftliches und ökologisches Wohlergehen untrennbar seien’. Ergänzend differenziert der ehemalige Ministerpräsident Bhutans, Jigmi Y Thinley:

Wir unterscheiden klar den Begriff des Glücks im Sinne von Bruttonationalglück von jenem eines oberflächlichen, angenehmen „feel good“-Gefühls, das nur zu oft damit identifiziert wird. Wir wissen, dass dauerhaftes, echtes Glück nicht bestehen kann, wenn andere leiden.

Um dies wiederum dauerhaft zu etablieren, gilt es, drei fundamentale Entfremdungszustände zu überwinden: Die Entfremdung von anderen Menschen. Denn wirkliches Glück kann es nur geben, wenn alle daran teilhaben können. Die Entfremdung von der Natur. Glück erwächst nur in Harmonie mit der Natur. Die Entfremdung von uns selbst. Glück entsteht nur, wenn wir unserer selbst und der einem jeden innewohnenden Weisheit bewusst werden und diese nach Kräften einbringen. Letzteres bestätigt etwa die Gehirnforschung, wonach jeder Mensch von Grund auf mit „Mitgefühl, Güte, Großzügigkeit oder Selbstlosigkeit“ ausgestattet sei. Fähigkeiten, die unserem Vermögen, Glück zu empfinden, vorausgehen. Hinzu kommt jedoch noch eine weitere Herausforderung, nämlich die einer grundlegenden Führungskrise, in der das Gemeingut sträflich missachtet wird. Der Denkhorizont der politischen Eliten scheint verengt. Nur bis zu den nächsten Wahlen reichend, dabei weniger dem Gemeinwohl als vielmehr dem Lobbyismus verpflichtet. Hier sind Kräfte gefordert, die Verantwortung in einem sehr umfassenden Sinne zu übernehmen vermögen, um einer Menschheit am Scheideweg voranzugehen. Eine zentrale Rolle spricht er hingegen in entwickelten Ländern der Zivilgesellschaft zu, die die Mächtigen der Politik, Wirtschaft und Medien durchaus bewegen könnten, neue Wege einzuschlagen. Möge dies Buch, zugleich Vermächtnis eines herausragenden Geistes, dazu beitragen! Die Indikatoren für Glück sind schließlich hinlänglich bekannt, zuverlässig erforscht. Im Übrigen ist Glück eine Fähigkeit, die, wie andere Fähigkeiten auch, erlernbar ist. "Glück ist machbar!" – Glück ist ein Politikum!

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Nymphenburger Verlag

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Glück ist ein Politikum
„Glück ist machbar“ - Dr. Ha Vinh Tho: „Grundrecht auf Glück. Bhutans Vorbild für ein gelingendes Miteinander. Aufgezeichnet von Gerd Pfitzenmaier, nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart 2017
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Dezember 2017 - Februar 2018

© Erna R. Fanger www.schreibfertig.com

Kompass, statt Karte!

 

Orientierung in Zeiten radikalen Wandels

 

„Kompass, statt Karte!“ markiert treffend, was uns als Bürgergesellschaft Orientierung in Zeiten eines so noch nie dagewesenen Wandels gewährt: nämlich zwar die Richtung, in die es gehen soll, vor Augen zu haben, nicht jedoch zu meinen, dass die Wege dorthin bereits bestünden. Dazu sind die Herausforderungen zu groß, zu komplex. „Der Weg entsteht beim Gehen“ bewährt sich einmal mehr bei dem Unterfangen, Inovationen zu befördern. Dies kann nicht gelingen, indem wir auf bislang Bewährtes zurückgreifen, wie in vielen politischen Debatten zu beobachten. So etwa gebetsmühlenartig den Mythos von der Vollbeschäftigung hochzuhalten, wo doch jeder weiß, dass wir mit zunehmender Automatisierung der Arbeitswelt auf das Gegenteil zusteuern. Wohin soll die Reise gehen von der Arbeitsgesellschaft seit der Industrialisierung mit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert, wo die Welt noch „leer“, sprich von wenigen Menschen bevölkert war. Letzteres etwa ist nachzulesen im jüngst erschienenen Bericht des Club of Rome von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Anders Wijkman u.a.: "Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen.“ Die explosionsartige Vermehrung der Weltbevölkerung habe sich erst in den letzten 50 Jahren herauskristallisiert. Heute lebten wir hingegen in einer „vollen“ Welt, die gänzlich andere Rahmenbedingungen benötigte.

 

 

Der Journalist und Spiegel-Kolumnist Georg Diez wiederum hat in Harald Welzers Online-Plattform FUTURZWEI mit „Die Macht der Beharrung“ einen bemerkenswerten Beitrag vorgelegt. Ausgehend von den Fragen „Was ist die Gestalt des Neuen? Wie erkennt man es? Wie setzt es sich durch? Und warum ist beides so schwer, das Erkennen und das Durchsetzen?“, diskutiert er, welche Kräfte eine Gesellschaft nach vorne bringen und auf welche Hindernisse sie dabei stößt. Fängt man an darüber nachzudenken, wird – man erinnere sich an den hinter uns liegenden Wahlkampf – schnell klar, dass diese Fragen nicht im Zentrum etablierter Politik stehen. Vielmehr werden sie eher von einzelnen Publizisten oder sonstigen engagierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft aufgeworfen, deren prominente Vertreter, wie etwa Richard David Precht, Harald Welzer oder Raga Yogeshwar, um nur einige zu nennen, sie dann, abgesehen von ihren Schriften, in diversen Talk-Shows zum Besten geben. Und das nicht selten zu fortgeschrittener Stunde.

Georg Diez sieht eben darin ‚den zentralen Konflikt’: „die Macht der Beharrung gegen die Notwendigkeit der Veränderungen“. Die daraus resultierenden Kräfte laut Diez, Aufbruchseuphorie auf der einen Seite, Angst vor der Ungewissheit andererseits, führten zu gewaltigen Spannungen, zu einer Art ‚tektonischer Verschiebung’, „bei der verschiedene Zeitplatten aneinander reiben, sich ineinander verkeilen und verkanten ...“ Dies sind Kräfte, die Naturkatastrophen – Erdrutsche, Erdbeben, schlimmstenfalls einen Tsunami – bedingen. Im globalen Zusammenleben stehen dafür Flüchtlingskrise und Migration auf der einen Seite, Gewaltexzesse des IS, aber auch die Exzesse struktureller Gewalt, wie sie seitens multinationaler Konzerne immer mehr ans Licht kommen. Auf Kosten der Mehrheit, etwa durch Steuerhinterziehung im großen Stil, vor allem aber auf Kosten der ärmsten Länder, die nicht nur nachweislich von den Naturkatastrophen weitaus stärker betroffen sind als die westlichen Industrienationen, sondern deren Rohstoffe, etwa im Kongo, ohne Rücksicht auf die Belange der Bevölkerung und in Kooperation mit korrupten Regierungen skrupellos geplündert werden.

„Die Menschen“, wie es nicht selten seitens manchem Politiker heißt im Tenor, als ginge es um eine sehr entfernte Spezies, ein Großteil der Bürger also, reagiert verunsichert. Besonders im Mittelstand geht die Angst vor dem sozialen Abstieg um. Wer soll für die Renten aufkommen. Die Angst vor Altersarmut und Pflegenotstand, nicht zuletzt vor Einsamkeit in alternden Gesellschaften, kommt hinzu. Viele verschließen angesichts der Vielzahl der Herausforderungen die Augen. Deutlich sei dies bei der plötzlichen Ankunft der vielen Geflüchteten 2015 geworden. Eine Gelegenheit, sich dem Neuen zu öffnen, die zahllose Bürger zwar mit Empathie und Tatkraft ergriffen haben, um dabei zugleich jedoch auch die Erfahrung zu machen: „Die Kräfte des Alten arbeiten mit allen Mitteln daran, das zu verhindern.“

 

              Mut zur Veränderung also, die, wie von Ranga Yogeshwar in dem soeben erschienenen Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft. Geschichten aus einer Welt im Wandel“ eindrucksvoll belegt, ebenso die Chance birgt, ein erfüllteres Leben für alle zu erschaffen. Ein erfüllteres Leben, als es zum Beispiel die Arbeitsgesellschaft gewährt hat, wo es in der Regel nur dem Privilegierten vorbehalten bleibt, sein Potenzial in Gänze zur Entfaltung zu bringen.

 

FUTURJETZT Dezember 2017
Kompass, statt Karte! Orientierung in Zeiten radikalen Wandels
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Oktober - November 2017

© Erna R. und Hartmut Fanger www.schreibfertig.com

Nachlese zum G20-Gipfel

Der Protest der Zivilgesellschaft – packend, bunt, kreativ und friedlich!

Was angesichts der Bilderflut über die Gewalt im Schanzenviertel unterging

Bereits im Vorfeld, am 28. Juni, kam der unermüdliche, 83-jährige Globalisierungskritiker Jean Ziegler ins Schauspielhaus, stellte die Legitimation des G20-Gipfels radikal infrage, erklärte dafür allein die UNO als zuständig. Zugleich appellierte er an den deutschen Rechtsstaat, der alle Mittel in der Hand hielte, die Strukturreformen, die es zur Veränderung einer „kannibalischen Wirtschaftsordnung“ bedürfe, durchzusetzen. Er müsse sie nur nutzen.

Den beeindruckenden Auftakt bildete dann am Mittwoch vor dem Gipfel die Kunstaktion der 1000 Gestalten. Initiiert von der Künstlergruppe „das kollektiv“, unterstützt vom „Gängeviertel Hamburg“ und diversen Hamburger Kulturinstitutionen. In Lehm gehüllt, zunächst strauchelnd, buchstäblich am Boden, teils kriechend, gezeichnet von Resignation, Einsamkeit, Angst und Verzweiflung, vereinzelt und verloren. Grandiose Übersetzung der Kehrseite einer in erster Linie auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Globalisierung, wo der Einzelne zunehmend auf der Strecke zu bleiben droht. Bis die ersten ausbrechen. Sie beginnen, sich wahrzunehmen, helfen einander auf, trösten sich gegenseitig. Befreit schreien sie ihre Qual heraus, entledigen sich der mit Lehm verschmierten Klamotten. Bunte T-Shirts darunter. Erst jetzt offenbar werden sie sich plötzlich ihrer Schönheit und Kraft gewahr, jubeln, tanzen und spüren, dass ein jeder hier aufgefordert ist, Verantwortung zu übernehmen. Wir können nicht davon ausgehen, dass dieser Impuls von der Politik kommt, sondern wir als Zivilgesellschaft müssen selbst aktiv werden und Veränderungen initiieren.

In diesem Sinne hatten am 5. und 6. Juli auch 77 Organisationen und Initiativen aus über 20 Ländern zu einem „Gipfel für globale Solidarität“ in die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel geladen. Auf  11 Podien und in mehr als 70 Workshops trafen sich dort über 2000 Besucher zum regen Austausch über politische Alternativen und Lösungswege. Den Höhepunkt bildete der Auftritt der Umweltaktivistin, ‚Hüterin des Saatguts’ und Doktor der Physik aus Indien, Vandana Shiva.

In der Laeisz-Halle lasen am 5. Juli beim Festival „Lesen ohne Atomstrom“ so bekannte Namen wie Renan Demirkan, Auma Obama, Schwester von Ex-US-Präsident Barack Obama, Günter Wallraff, Konstantin Wecker und viele mehr aus den Werken "Empört Euch!" und "Engagiert Euch!" von Stéphane Hessel, 2013 verstorbener Résistence-Kämpfer und Überlebender des Holocaust, zugleich Mitautor der UN-Menschenrechtserklärung von 1948. Zur selben Zeit die Möglichkeit, im Hauptgebäude der Hamburger Universität  an einem interreligiösen Friedensgebet mit Vertretern der Aleviten, Bahai, Buddhisten, Christen, Hindus, Juden und Muslime teilzunehmen. Von der chinesischen Xylophonistin Lin Chen musikalisch hochkarätig initiiert und begleitet. Beim anschließenden Empfang  im Café Dell Arte Raum für Austausch und Gespräche.

Am Freitag, 7. Juli, fand sich wiederum in der Barclaycard-Arena zu einem Konzert im Rahmen des Global Citizen Festivals eine Reihe internationaler Musiker aus Pop und Jazz zusammen, u.a.  Shakira, Andreas Bourani, Coldplay, Herbert Grönemeyer, um für eine gerechtere Welt, gegen Armut und Hunger, anzuspielen.

Am Samstag, 8. Juli dann, Ökumenischer Gottesdienst des kirchlichen Bündnisses „global.gerecht.gestal†en“ in der bis zum letzten Platz gefüllten St. Katharinen-Kirche, wo in der Predigt deutliche Wort zu der zerstörerischen globalen Finanzpolitik fielen. Der anschließende Demonstrationszug mit Bischöfin Kirsten Fehrs an der Spitze „Hamburg zeigt Haltung“ mit nach offiziellen Angaben 10.000 Teilnehmern führte den Hafen entlang bis hin zur Fischauktionshalle in St. Pauli. Dabei: die Träger des angeblich 340 Meter langen Weltenschals, mit Applaus bejubelt, und immer wieder musikalische Einlagen, Blechbläser und Trommeln, die für gute Stimmung sorgten. Auf der Abschlusskundgebung sprachen unter anderem der New Yorker Bürgermeister, Demokrat und Trump-Kritiker Bill de Blasio und Gesine Schwan. Zahlenmäßig wurde das Ganze mit den über 80.000 Teilnehmern des Linksbündnisses auf der Reeperbahn noch getoppt.

Insgesamt an die 100.000 Hamburger, darunter große und kleine Initiativen, die ihrem Protest gegen die Allmacht der Konzerne, Rüstungsexporte, Bildungsdefizite, gegen Hunger und Krieg friedlich und ideenreich Ausdruck verliehen haben. Von den Medien, bis auf wenige Ausnahmen, eher zögerlich während des Gipfels aufgegriffen und längst wieder in Vergessenheit geraten. Stattdessen beherrschen bis heute die Ausschreitungen im Schanzenviertel das Bild, emotional aufgeladen, Betroffenheit heischend. Der viel gerügte Schwarze Block ist laut Friedenspreisträgerin Carolin Emcke in „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ vom 30. Juli „ein dankbar angenommenes Bild“ mit der Funktion, von der eigentlichen Kritik abzulenken. Statt stichhaltiger Analyse der Vorfälle, gegenseitige Schuldzuweisungen, die der Wahrheitsfindung wenig dienlich sind. Zahlenmäßig ist der Schwarze Block eine deutlich kleine Minderheit – gewaltbereite, teils kriminelle so genannte Revolutionstouristen, die nachweislich den Hauptteil der Gewalttaten zu verantworten hatten, mitgerechnet. Von der seitens einer beherzten jungen Hamburgerin ins Leben gerufenen Aktion „Hamburg räumt auf“, wo nach den Krawallen über achttausend Bürger das Zepter wieder selbst in die Hand nahmen, aufräumten und putzten, spricht im nachhinein kaum noch jemand. 

Wer allerdings unter den vielen friedlichen Demonstrierenden mit dabei war, die historische Gunst der Stunde als Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft nutzend, die sich mit den genannten Missständen nicht abfinden, sondern für ein menschlicheres globales Miteinander einstehen wollen, mochte sogar ermutigt und bestärkt aus diesen Tagen hervorgehen. Könnte dies doch ein Auftakt sein, es dabei nicht zu belassen, sondern weiter gegen weltweites Unrecht, gegen Hunger, Leid, Ausbeutung und Krieg aufzustehen, immer wieder. 

Erna R. Fanger und Hartmut Fanger

Siehe hierzu auch:

- "Motive für ein außerordentliches Engagement" über Jean Ziegler: "Der schmale Grat der    Hoffnung", vom Juni 2017 im Archiv

- "Und noch einmal: 'Empört euch'", Hommage à Stéphane Hessel aus gegebenem Anlass" vom Juli 2013 im Archiv

-- "Hüterin von Land und Saatgut" über Vandana Shiva - Umweltaktivistin und Doktorin der Physik vom August 2013 im Archiv

FUTURJETZT August 2017
Nachlese zum G20-Gipfel
Der Protest der Zivilgesellschaft – packend, bunt, kreativ und friedlich! Was angesichts der Bilderflut über die Gewalt im Schanzenviertel unterging
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Juni 2017

© Erna R. und Hartmut Fanger www.schreibfertig.com

Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort

bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.

Martin Lulther King

 

Motive für ein außerordentliches Engagement

                                                                                                                                                                                                                                             

Jean Ziegler: „Der schmale Grat der Hoffnung – Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden“, C. Bertelsmann Verlag, München 2017. Aus dem Französischen von Hainer Kober.

In seinem gerade erst erschienenen Werk, „Der schmale Grat der Hoffnung“, gewährt der emeritierte Professor der Universität Genf neben autobiografisch gefärbten Episoden Einblick in seinen lebenslangen Kampf für Menschenrechte, Frieden und die Beseitigung der weltweiten Hungersnot. Sei es in seiner Funktion als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sei es als Vize-Präsident des beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrats. Dabei spart er nicht mit brisanten Fakten und führt minutiös dramatische Zahlen einer Katastrophe globalen Ausmaßes vor Augen. Weltweit sind von 7,3 Milliarden Menschen eine Milliarde unterernährt. „Alle zehn Sekunden verhungert ein Kind“. Getan dagegen wird bei weitem zu wenig. Und dies aus vielerlei Gründen. Erschütternd dabei: An Mitteln fehlt es nicht. Nach Ziegler haben allein ‚2013 multinationale Konzerne und Großbanken 1000 Milliarden (!) Dollar Dividenden an ihre Aktionäre ausgezahlt’. Hätte man die Summe für humanitäre Zwecke eingesetzt, hätte dies den Hunger auf der Welt spürbar reduziert, überdies wären die Folgekrankheiten der Unterernährung innerhalb von drei Jahren besiegt gewesen.

Wie schwer es ist, im Hinblick auf soziale Missstände weltweit etwas zu bewegen, zeigt Ziegler anhand eines Beispiels auf, wonach ‚mehrere Mitgliedstaaten systematisch und fortwährend jede Empfehlung von ihm in seiner Funktion als Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung abgelehnt haben’. Der Grund: Die USA, Großbritannien, Australien und weitere Staaten erkennen lediglich ‚bürgerliche und politische Rechte’ als Menschenrechte an, nicht aber wirtschaftliche, soziale und kulturelle. In Anlehnung an Hegel besteht Ziegler entgegen diesen Machenschaften darauf, dass nur die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit ‚das relativ Absolute, das konkret Universelle, darstellen und tatsächlich den Horizont unserer Geschichte bilden’. Die Ignoranz der Großmächte dem gegenüber und das Dogma der USA: „Der Hunger kann nur durch die totale Liberalisierung des Marktes besiegt werden“ – die Folgen sind hinlänglich bekannt – könnten einen in die Knie zwingen und der Resignation verfallen lassen.

Aber Ziegler wird nicht müde uns Gegenargumente zu liefern und setzt dem etwa Max Horkheimer entgegen: „Kein Sklave duldet seine Ketten auf Dauer“.

Grundsätzlich setzt Jean Ziegler – darin unerschütterbar – auf Hoffnung. Und das entgegen allen Greueln, derer er weltweit an den Brennpunkten dieser Erde im Zuge seiner lebenslangen Mission Zeuge geworden ist. Dazu angestiftet übrigens nicht zuletzt von der Begegnung und der daraus erwachsenen Freundschaft mit Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, um nur die prominentesten seiner Wegbereiter zu nennen. Aktuell gilt diese Hoffnung, neben der Zivilgesellschaft, also jedem Einzelnen, dem ‚Wiedererstarken der UNO’, und zwar im Wortsinn Dostojewskis in Die Brüder Karamasow: „Jeder ist verantwortlich für alles vor allen.“ Auch der von ihm immer wieder zitierte Kant sei hier bemüht: „Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.“  

Ebenso beruft er sich auf Jean-Jacques Rousseau, dem wir, bei allen Widersprüchen, die dessen Persönlichkeit geprägt haben mögen, zweifellos wesentliche Einsichten in die Natur des Menschen verdanken. So etwa, wenn es in dessen Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1755) heißt: „Die Menschen mit all ihrer Moral wären stets nur Ungeheuer gewesen, wenn die Natur ihnen nicht das Mitleid zur Stütze ihrer Vernunft gegeben hätte.“ Ein Grund mehr für Ziegler, auf die Zivilgesellschaft zu setzen, die sich, fern von Parteien, aus den unterschiedlichsten Bewegungen – Kirchen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – zusammensetzt.

Mag der Grat der Hoffnung noch so schmal sein, ist er wiederum nicht zu unterschätzen. Wie Ziegler auch den ‚Glauben an Gott’ und die Überzeugung, dass, nicht zuletzt im Sinne Hegels, ‚Geschichte Sinn macht’, noch lange nicht verloren sieht. Entgegen ‚dem weltweiten Hunger, den Folterkammern Assads in Syrien, entgegen dem Terror der Dschihadisten in Europa und dem Zynismus der wenigen Herrschenden auf dieser Welt’. Letztere sieht er eben gerade nicht in einer Vielzahl von Politikern, die sich redlich um Lösungen bemühen, sondern in „einer winzigen transkontinentalen Oligarchie“, die ihren ungeheuren Reichtum mit Hilfe von Briefkastenfirmen und Steuerhinterziehung anhäuft. Die berühmtberüchtigten „Panama-Papers“ sind da nur ein Beispiel. Und genau diese Steuerhinterziehung ist es, die laut Ziegler „in erheblichem Maß schuld an dem Elend der Welt ist.“

Es treibt Jean Ziegler, wie gewiss unzählige andere, von deren Existenz und Namen in den allermeisten Fällen niemand je erfahren wird, die „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ – so auch der Titel des letzten von Max Horkheimer erschienenen Bandes, zugleich sein Testament. Ziegler bringt dies in Zusammenhang mit dem Gedanken, dass der Mensch ‚ständig eine doppelte Geschichte erlebe’: „Diejenige, die ihm konkret widerfährt, und die andere, die sein Bewusstsein in Gestalt der Utopie verlangt.“ Worunter nicht mehr und nicht weniger zu verstehen sein mag, als dass hier ein jeder aufgefordert ist, über den Status quo zwar nicht hinwegzusehen, zugleich jedoch, ihm zu widerstehen und der Fantasie, den Wünschen und den Träumen von einer gerechten Welt Raum zu gewähren – nach dem Vorbild Martin Luther Kings: „I have a dream.“  

Ein Buch, das sich in die lange Tradition jener Werke einreiht, das von Empathie gegenüber den Opfern dieser Welt, den Schwachen und Hungernden, den Leidenden, getragen ist. Gegen Krieg und fortwährende Verbrechen, sei es an der Menschheit, sei es an der Schöpfung. Ein Buch, angelehnt an das Brechtsche Diktum ‚der sanften Gewalt der Vernunft’ aus Das Leben des Galilei:

„Ja, ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen. Sie können ihr auf Dauer nicht widerstehen. Kein Mensch kann lange zusehen, wie ich einen Stein fallen lasse und dazu sagen: er fällt nicht. Dazu ist kein Mensch imstande. Die Verführung, die von einem Beweis ausgeht, ist zu groß. Ihr erliegen die meisten, auf die Dauer alle.“

Ein Buch, das zugleich auf Prinzip Hoffnung von Ernst Bloch, auf dessen Appell dort, „Vorwärts zu den Wurzeln“, verweist und im Zuge dessen einmal mehr auf ‚die großen Gründungstexte der Vereinten Nationen’ nach dem Grauen, das der Zweite Weltkrieg über die Völker gebracht hat. Sind dort doch  bis heute nicht eingelöste, unverbrüchliche Ziele formuliert:

„1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren (...) 2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen Nationen zu entwickeln (...) 3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen (...)“

Ein Buch, das schließlich mit dem wegweisenden Gedanken eines Mahatma Gandhi endet: „Zuerst ignorieren sie euch, dann verspotten sie euch, dann bekämpfen sie euch, dann gewinnt ihr.“

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem C. Bertelsmann-Verlag!

FuturJetzt Juni 2017
Motive für ein außerordentliches Engagement
Jean Ziegler: „Der schmale Grat der Hoffnung – Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden“, C. Bertelsmann Verlag, München 2017. Aus dem Französischen von Hainer Kober.
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Mai 2017

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Für eine „Welt in Balance“ durch ökosoziale Marktwirtschaft

Franz-Josef Rademacher setzt sich weltweit für gerechtere Globalisierung ein. Auf der Grundlage von Deutschlandradio Kultur – Im Gespräch, 5. Januar 2017

Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Mathematiker, Professor für Informatik und Leiter des Instituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung, engagiert in der Global Marschall Plan Initiative, rechnet es uns vor: Zu 35 Prozent besteht für die Menschheit die Chance eines gerechten Ausgleichs zwischen Arm und Reich! Ergreifen wir sie nicht, laufen wir Gefahr, unseren eigenen Lebensraum zu zerstören. Sieht er die Menschheit auch nicht gleich vom Aussterben bedroht, warnt er doch, machen wir weiter wie bisher, bis zum Jahr 2050 vor der „Gefahr eines globalen Kollapses“. Einer Gefahr, die mit 15 Prozent Wahrscheinlichkeit auf uns zukommen könnte. Das Risiko, dass die Menschheit dann weltweit in einer Zweiklassengesellschaft lebe, liegt nach seinem Ermessen wiederum bei 50 Prozent. Zumal wenn 200 Staaten unterschiedlicher Interessen und unterschiedlicher Bevölkerungsdichte sich immer wieder gegenseitig blockierten. In der hier angedeuteten ‚Gemengelage’ geht es ihm um „ein Ringen um die Qualität der Zivilisation, um die Lebensbedingungen der Menschen.“ Wobei Rademacher vornehmlich drei Akteure zum Handeln auffordert: die Staatengemeinschaft, die Menschen in ihren unterschiedlichen Rollen, etwa als Konsumenten, die Unternehmen. Dabei sieht Rademacher bewusst ab vom moralischen Appell, etwa auf Flüge, Fleisch oder das Auto zu verzichten. Stattdessen schlägt er gleich drei konkrete Maßnahmen vor, die praktisch jeder umsetzen kann: nämlich Bäume zu  pflanzen, die dem CO2 Gehalt in der Atmosphäre entgegenwirken, aufzuforsten; sich als Pate oder Mentor für wenigstens einen jungen Menschen auf unserem Globus zu engagieren oder sich um jemanden Bedürftigen zu kümmern. Aber auch sich um Verständnis für komplexe Zusammenhänge zu bemühen, viel zu lesen und sich auf einem höheren Wissensniveau in den Prozess der Veränderung, den die Menschheit durchläuft, einzubringen. Sozusagen wider die Entschlossenheit unserer Eliten, den Status quo beizubehalten: „Es gibt Potentate, die ihre Bevölkerung ausbeuten und ihre Rohstoffe ausplündern und wir kaufen sie ihnen gerne ab. Und weil die Interessenlagen so sind, bekommen wir die vernünftigen Lösungen nicht hin.“ Führte man hingegen weltweit die ökosoziale Marktwirtschaft ein, hätte, über geeignete Transfermechanismen, jeder ausreichend Kaufkraft. Die Produktion umweltbelastender Güter wiederum könnte über bestimmte Restriktionen limitiert werden. Wenn wir es alle wollten, könnten wir uns problemlos weltweit koordinieren.

 

Was hindert uns, bringen wir uns also ein, ein jeder dort, wo er seine Stärken einsetzen kann!

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